Nostalgisch sind wir alle mal. Man denkt an die eigene Kindheit zurück und daran, wie man mit dem längst verstorbenen Familienhund in den Sonnenuntergang hineintollte. Oder die spannende Zeit des Studiums, als man zwar wenig Geld hatte, aber so viele spannende Menschen kennenlernen durfte. Vielleicht denkt man auch an die erste große Liebe zurück und daran, wie zuckersüß das Leben war, bevor das Arschloch unbedingt fremdgehen musste.
Vergangen ist vergangen. Und das ist auch gut so.
Allen diesen nostalgischen Momenten ist gemein, dass man die negativen Aspekte der Vergangenheit ausblendet. Das ist aber meistens auch nicht weiter schlimm, denn letztlich kann man die „goldenen Erinnerungen genießen“ und ein wenig vor sich hinträumen. Bedenklich wird es erst dann, wenn man beginnt, an der Erinnerung zu leiden und sich nicht mehr um Gegenwart und Zukunft kümmert. Oder wenn man krampfhaft versucht, Zeiten wiederzubeleben, die lange vergangen sind. Das geht eigentlich immer schief.
Sich heute noch mal mit den alten Kumpels aus dem Fußballverein zu treffen, die man zwanzig Jahre nicht gesehen hat, ist meistens eine ziemlich ernüchternde Erfahrung. Aber was soll’s? Probieren kann man es ja mal.
Regelrecht gefährlich kann Nostalgie unter Umständen aber werden, wenn sie politisch wird und man beginnt, eine Rückkehr der „guten alten Zeit“ zur fordern, die es nie gegeben hat. Die 90er waren ein spannendes Jahrzehnt. Aber nein, wir wollen nicht zurück in die Zeit der Faxgeräte, in der People of Color im Fernsehen noch Exot*innen waren, Hunderte und Tausende in Ostdeutschland ihre Existenzen verloren und man sich schämen musste, weil man das einzige Kind in der Klasse mit geschiedenen Eltern war. Nur ein paar random Stichpunkte, um auch die negativen Erinnerungen an die 90er ein wenig aufzufrischen.
So oder so geht mit der Nostalgie aber das Gefühl der Vertrautheit und Geborgenheit einher, wie mit einem warmen Zuhause, in das man zurückkehrt.
Der Kern der Sehnsucht
Und damit sind wir beim Kern des Begriffs. Der hat nämlich erst mal nichts mit der 90er-Show im Fernsehen oder der Rückbesinnung auf die „gute alte DDR“ zu tun.
„Heimweh“ ist eine sehr passende deutsche Wiedergabe des griechischen Begriffs, der sich aus νόστος (nóstos) für „Heimkehr“ und dem Verb ἀλγεῖν (algeîn) für „Schmerzen erleiden“ zusammensetzt. Es handelt sich also um die schmerzhafte Sehnsucht nach der Heimkehr. So war er auch von Anfang an gemeint, denn er wurde vom Mediziner Johannes Hofer im 18. Jahrhundert geprägt, der damit eine vermeintliche Krankheit bezeichnete. Er hatte beobachtet, dass Söldner, die sich längere Zeit im Ausland aufhielten, von einer Art Depression befallen wurden, die er als Nostalgie bezeichnete.
Man könnte nun also sagen, wir benutzen diesen Begriff alle falsch. Oder man rettet das Ganze, indem man einfach sagt, dass wir ihn heute in übertragener Bedeutung verwenden. Es geht demnach nicht mehr um die Sehnsucht nach der buchstäblichen Heimkehr, sondern nach einer früheren Zeit, in der man sich zu Hause fühlt. Das ist auch in Ordnung so, denn in der Medizin hat die Nostalgie heute keinen Platz mehr. Das Krankheitsbild, das Hofer beschrieb, wird heute nicht mehr verwendet.
Der erste echte Nostalgiker der Weltgeschichte
Übrigens war die erste Person, die an Nostalgie litt, obwohl es den Begriff noch nicht gab, ein sehr berühmter Mann: Odysseus. Der Begriff „νόστος“ (nóstos) für Heimkehr spielt in der Odyssee eine ganz zentrale Rolle, denn darum geht es ja dort die ganze Zeit.
Insofern ist die ganz wörtlich zu verstehende Nostalgie in seinem Fall eine wichtige Triebfeder, die ihn dazu bringt, alle Mühen und Strapazen auf sich zu nehmen, um wieder nach Hause zu kommen. Natürlich hat sich auch die Welt in seinem Fall weitergedreht, und sein Zuhause ist nicht mehr dasselbe, das er Jahrzehnte vorher verlassen hat. Aber trotzdem nimmt er auch dort wieder seinen Platz ein.
Das sollten auch wir nicht vergessen: Alle Nostalgie bringt die Vergangenheit nicht zurück. Sie kann uns aber dabei helfen, ein bisschen Kraft für die Zukunft zu schöpfen.
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