Ja, richtig gelesen. Unser heutiges Fremdwort der Woche ist eins, das man überhaupt nicht auf den ersten Blick als Fremdwort erkennt. Es sieht zumindest auf den ersten Blick ziemlich urdeutsch aus. Aber was soll das eigentlich heißen? Man rutscht halt irgendwie ins neue Jahr, also wie bei einem Unfall? Gut, das Jahr 2020 war sicherlich irgendwie ein Totalschaden, aber das ist ja nicht in jedem Jahr so. Hoffentlich jedenfalls.
Was wir dem Jiddischen so alles zu verdanken haben
Als Sprachwissenschaftler*in wird man bei solchen Nonsens-Wörtern immer etwas hellhörig. Gemeint sind Wörter, die im ersten Moment total unverdächtig aussehen, aber im Grunde keinen Sinn ergeben. Da steckt eigentlich immer eine Geschichte dahinter. So ist es auch hier, denn der „Gute Rutsch“ kommt (vermutlich) aus dem Jiddischen und geht damit zurück auf ein hebräisches Wort.1
Und genau deswegen machen wir dieses Fremdwort der Woche, denn wenn wir über fremdsprachliche Einflüsse auf die deutsche Sprache reden, werden doch meistens immer dieselben vier genannt: Griechisch, Latein, Englisch, Französisch. Vielleicht noch ein Schuss Italienisch. Dass wir dem Jiddischen aber einige der im Alltag meistgebrauchten Begriffe zu verdanken haben, daran denkt fast niemand:
Abzocken, betucht, blau machen, sich einschleimen, Gauner, Ganove, großkotzig, Hals- und Beinbruch, Kaff, mauscheln, meschugge, Pleite, Reibach, schachern, Schlamassel, Schmiere stehen, schmusen, Schnorrer, schwarzfahren, Tacheles reden, Tinnef, Tohuwabohu und Zoff.
Eine „debräische“ Wortschöpfung?
Ja, alle diese Ausdrücke gehen mittel- oder unmittelbar auf das Hebräische zurück. Es wird Zeit, dass wir uns dessen etwas mehr bewusst werden, denn im Gegensatz zu den vielen, vielen Fremdwörtern aus dem Lateinischen und Griechischen sind das alles Wörter und Ausdrücke, die nicht nur Akademiker*innen verwenden. Ganz im Gegenteil.
Der Ausdruck „Guten Rutsch“ geht wohl auf das althebräische Wort רֹאֹשׁ (rōsch) zurück, was so viel bedeutet wie „Kopf“ oder „Anfang“. Folglich heißt das jüdische Neujahrsfest, das jedes Jahr im Herbst begangen wird, auch רֹאֹשׁ הַשָּׁנָה (rōsch ha-schanah) – „Jahresanfang“. Möchte man sich auf Debräisch (statt Denglisch) ein „Frohes Neues Jahr“ wünschen, könnte man also sagen: „Guten Rosch!“.
Der Hokuspokus-Effekt
Der Weg zum „Rutsch“ scheint dabei nicht allzu weit, auch wenn manche Sprachwissenschaftler*innen darin immer noch ein Problem sehen. Man zankt sich also durchaus noch über die wahre Herkunft des Begriffs und führt unter anderem das Argument an, dass das hebräische „rosch“ und das deutsche „Rutsch“ lautlich recht weit voneinander entfernt sind.
Das ist nicht von der Hand zu weisen, aber der Hokuspokus-Effekt führt nun einmal dazu, dass unverständliche Wörter aus einer fremden Sprache an bekannte Lautmuster aus der eigenen Sprache angeglichen werden. Aus der deutschen Hakenbüchse wurde im Französischen die Arquebuse, aus der lateinischen arcuballista (Bogenschleuder) eine deutsche Armbrust. Auch so ein Nonsenswort, denn was bitte ist eine Armbrust? Man versuche einmal, sich das bildlich vorzustellen. Man fühlt sich ja gleich an missgebildete Frösche aus einem radioaktiv verseuchten Tümpel erinnert, die fünf Beine haben und bei denen man sich nicht wundert, wenn auch noch ein Arm aus der Brust kommt.
Fachsprachlich heißt dieser Vorgang übrigens Verballhornung. Der Ausdruck Hokuspokus-Effekt ist unsere eigene Erfindung. Aber Sprachwissenschaft hin oder her: Letztlich ist das Wichtigste doch, dass man unfallfrei ins neue Jahr kommt. Das gilt für 2021 in globaler Perspektive vielleicht noch ein bisschen mehr als in der Vergangenheit.
- Diese These stammt von Siegmund Wolf, wurde aber in der Vergangenheit auch angezweifelt. Einen besseren Gegenvorschlag gibt es aber meiner Meinung nach nicht. ↩
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