Mantra – Fremdwort der Woche

Die 60er sind (leider?) lange vorbei. Aber ein Wort, das vor allem damals groß rauskam, findet sich heute noch gelegentlich im Alltag: Mantra. Es ist nicht nur wegen seiner Bedeutung interessant, sondern hat auch noch eine ziemlich spannende Geschichte zu erzählen.

Wir benutzen das Wort „Mantra“ im Alltag gelegentlich, um damit eine Art Grundannahme oder Leitlinie für das eigene Handeln zu bezeichnen. „Ich geben jedem Tag die Chance, der schönste meines Lebens zu werden“, könnte als ein solches Mantra durchgehen, sofern man diesen Satz immer wieder für sich im Geiste wiederholt, um damit das eigene Denken und Handeln zu prägen. 

Im Hinduismus und Buddhismus, aus denen der Begriff eigentlich stammt, hat er aber eine noch viel weitergehende Bedeutung. Dort bezeichnet er ein rituell und religiös aufgeladenes Wort, das beispielsweise zur Meditation genutzt wird. Das bekannteste Mantra ist das Wörtchen „Om“ oder „Aum“. 

Das Wort मन्त्र (mantra) stammt aus dem Altindischen (oft auch „Sanskrit“) genannt. Das ist die Sprache, die Indiana Jones im „Tempel des Todes“ auf irgendwelchen alten Stofffetzen findet. Diese Sprache ist so grob um die 3.500 Jahre alt.

Und hier hat „Mantra“ eine erst einmal recht schlichte Bedeutung, denn es heißt einfach „Gedanke“. Gedanken können bekanntermaßen eine unglaubliche Kraft entfalten, und so kam es zu den verschiedenen übertragenen Bedeutungen, unter denen uns das Wort heute begegnet. 

Autopsie eines Wortes

Wir haben dieses Fremdwort aber nicht nur deswegen ausgewählt, weil wir gern auch schon mal über den kulturellen Tellerrand schauen. Denn wenn man sich das Wort मन्त्र (mantra) einmal unter einem sprachhistorischen Blickwinkel anschaut, kommt man zu verblüffenden Erkenntnissen. 

Zuerst einmal tun Sprachhistoriker*innen bei der Untersuchung eines Wortes so was Ähnliches wie Gerichtsmediziner*innen, wenn sie eine Leiche untersuchen: Sie zerschnippeln es. Und dann arbeiten einen Kern heraus, die so genannte Wurzel.

Das ist in diesem Fall recht leicht zu verstehen: „Mantra“ besteht aus einer Wurzel „man-“ und einem angehängten „-tra“, das einfach nur anzeigen soll, dass es sich um eine bestimmte Art von Substantiv handelt. 

Im zweiten Schritt beziehen Forscher*innen bei diesem speziellen Wort noch den typisch indischen „a-Vokalismus“ in die Rechnung mit ein. Die frühen Inder*innen mochten das a nämlich offenbar so gerne, dass sie viele Vokale durch a ersetzten. Das muss man rückgängig machen, wenn man zur ursprünglichen Gestalt des Wortes zurückkehren möchte, die wir als „indogermanisch“ oder „ursprachlich“ bezeichnen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Die rekonstruierte indogermanische Wurzel heißt „*men-“.

Ein Wort, das Wurzeln geschlagen hat

Und das ist dasselbe „*men-“, das im lateinischen Fremdwort „mental“ steckt. Es steckt auch im nicht gerade beliebten „Monitum“, nur dass es sich dort aufgrund bestimmter Sprachgesetze schamvoll hinter einem o versteckt.

Das sind alles Worte, die mit Denken oder Denkprozessen zu tun haben. Das Monitum ist aber nicht nur eine Sache, die zum Nachdenken anregen soll. Sie ist auch eine mehr oder weniger freundliche Erinnerung. Und um sich zu erinnern, muss man was tun? Klar, denken. 

Wenn ich jemanden daran erinnere, dass er*sie dringend was tun sollte, um auf dem nächsten Zeugnis keine Sechs zu kassieren, dann ermahne ich also. Hm. Er-mahn-en.

Steckt da etwa auch unsere indogermanische Wurzel „*men-“ drin? So ist es. Diesmal versucht sie sich mithilfe eines a zu verstecken. Und auch im englischen Wort „mind“ versteckt sie sich. Damit hat sie bald so ziemlich alle Vokale einmal durch. 

Aus der Steppe in die weite Welt

Die kleine Wortwurzel „*men-“, die sich irgendwelche Menschen vor vielleicht 6.000 Jahren in der südrussischen Steppe ausgedacht haben, um Denkprozesse in Worte fassen zu können, hat es also ziemlich weit gebracht. Sie findet sich sowohl im Altindischen als auch im Lateinischen, Deutschen und Englischen immer noch wieder. Und die vielen, vielen anderen Beispiele aus dem Altgriechischen, dem Altiranischen, den slawischen und den nordischen Sprachen haben wir hier gar nicht erst angeführt. 

Was zeigt uns das? Man könnte sagen, es bestätigt eine Binsenweisheit, nämlich: Die Welt ist klein. Und selbst mit weit entfernten Kulturen verbindet uns mehr, als wir manchmal glauben.

Und es zeigt uns wohl ziemlich eindrücklich, wie sehr wir auch über die Jahrtausende hinweg noch mit unseren Ursprüngen verbunden sind. Die lagen vielleicht in einer kleinen Ansammlung von Zelten einer nomadischen Jäger-und-Sammler-Kultur, die schon lange im Dunkel der Geschichte verschwunden ist, aber ihre Spuren bis heute hinterlassen hat.

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