Märtyrer – Fremdwort der Woche

Der Aufschrei war groß, das Medienecho gewaltig, als im Januar dieses Jahres Novak Djokovic – ohne Zweifel einer der erfolgreichsten Tennisspieler unserer Zeit – die Einreise zu den Australian Open verwehrt wurde. Der Grund: Der Serbe wollte keine Auskunft über seinen Impfstatus geben.

Nein, es folgt jetzt keine weitere, ermüdende Diskussion über das Für und Wider der Covid-19-Impfung. Dazu wird Karl Lauterbach bei Markus Lanz noch genügend Gelegenheit haben.

Viel interessanter – zumindest aus philologischer Perspektive – ist es, den Blick auf das zu wenden, was (nicht nur) die serbischen Medien aus diesem Skandal gemacht haben: Novak Djokovic, ein serbischer Märtyrer. Das ist natürlich eine Schlagzeile, die die Verkaufszahlen jedes auch noch so unbedeutenden Käseblatts in die Höhe schießen lässt. Ok: Die Australien Open gehören zu den wichtigsten Tennisturnieren der Welt. Aber ist es trotzdem gerechtfertigt, jemanden als „Märtyrer“ zu bezeichnen, nur weil ihm – ohne die genauen Hintergründe noch einmal auszubreiten – die Teilnahme an diesem Turnier verweigert wird? Denn wer dem Begriff „Märtyrer“ einmal etwas genauer nachgehen möchte, begegnet ganz schön viel Blut und Brutalität.

Der harmlose Ursprung

Und dabei fängt alles ganz harmlos an: Das griechische Wort martys, von dem sich „Märtyrer“ ableitet, bedeutet ganz allgemein: „Zeuge“ oder auch „Beweis“. Das klingt noch nicht wirklich aufregend. Spannend wird es eigentlich erst, wenn man martys im religiösen Kontext betrachtet – und hier wird aus dem neutralen „Zeugen“ ein Mensch, der Zeugnis ablegt von seinem Glauben, christlicherseits von seinem Glauben an Jesu Tod und Auferstehung.

Nun ja, aber machen das nicht alle Gläubigen, sofern sie sonntags in die Kirche gehen? Dann wären doch alle Gläubigen Märtyrer!

Nicht ganz: Es sei denn, die Gläubigen würden für ihren Glauben auch in den Tod gehen, also ihr Blut opfern. Denn genau das zeichnet einen „Märtyrer“ im religiösen Kontext aus. Für sie gibt es nichts Wichtigeres als ihre religiöse Überzeugung, für die sie sogar – und das ist der entscheidende Punkt – tapfer den Tod auf sich nehmen. So wird der Märtyrer zu einem „Blutzeugen“. Gerade vor dem Hintergrund der ersten Christenverfolgungen in den nachchristlichen Jahrhunderten werden Märtyrer so zu Kultfiguren stilisiert und verehrt. An ihren Gräbern versammeln sich die frühen Christen, um sich ihre Fürsprache zu sichern – letztlich geht die Heiligenverehrung auf diesen antiken Märtyrerkult zurück.

Blut und Brutalität

Dementsprechend gilt als erster christlicher Märtyrer übrigens der heilige Stephanus, ein – nach allem, was über ihn bekannt ist – charismatischer, wortgewandter Diakon in der ersten Hälfte des 1. Jhs. n. Chr., der viele Menschen in der Jerusalemer Urgemeinde zum christlichen Glauben bewegen konnte. Doch dies gefiel nicht jedem und schon bald fand sich Stephanus vor Gericht wieder, wo er eine flammende Rede hielt und bis zum Schluss seinen Überzeugungen treu blieb. Die Folge: Er wurde verurteilt und gesteinigt. Wie gesagt: Blut und Brutalität.

Stephanus steht aber nur am Anfang einer schier endlosen Reihe christlicher Märtyrer und Märtyrerinnen (!) (z. B. die heilige Thekla), die gekreuzigt, verbrannt, zerstückelt werden, oder auch tapfer mit Drachen kämpfen wie der heilige Georg. Und die Liste hört nicht in der Antike oder im Mittelalter auf. Nicht umsonst wird das 20. Jahrhundert auch das „Jahrhundert der Märtyrer“ genannt, in dem unzählige Männer und Frauen für ihre religiöse Überzeugung, gerade auch in Auseinandersetzung mit totalitären Regimen, den Tod auf sich genommen haben – Dietrich Bonhoeffer dürfte der bekannteste Märtyrer der Neuzeit sein.

Hinter dem Wort „Märtyrer“ verbirgt sich also eine Begriffsgeschichte, die den Rahmen eines jeden Podcasts sprengen würde. Und ja: Losgelöst von dieser Geschichte hat es dieser Begriff auch in den heutigen, alltäglichen Sprachgebrauch geschafft als Bezeichnung für Menschen, die hartnäckig an ihren Überzeugungen festhalten, und dafür teils heftigen Gegenwind ertragen müssen – so wie Djokovic. 

Und ist diese Bezeichnung in diesem Kontext angemessen? Nun, letztendlich muss diese Frage jeder – nach Lektüre des vorliegenden Artikels für sich selber beantworten (können). Zumindest mit einem inflationären Gebrauch des „Märtyrers“ sollte aber mit Blick auf die geschichtlichen Ursprünge vorsichtig umgegangen werden.

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