Jede*r kennt Sisyphus: Den armen Kerl, der in der Unterwelt einen Stein immer wieder eine Klippe raufschiebt – und jedes Mal, wenn er fast oben angekommen ist, rollt der Stein wieder zurück. Es ist die sprichwörtlich gewordene Sisyphusarbeit – und die hat den antiken Tunichtgut berühmt gemacht. Aber was hat er eigentlich angestellt, um so zu enden?
Vorweg: Ganz so arm dran war Sisyphus nicht. Denn er hatte sich einen mächtigen Gegner gesucht, gegen den er eigentlich nur verlieren konnte: den Tod. Und er hatte selbst so einiges dazu beigetragen, dass er seine Strafe in der Unterwelt antreten musste.
Zwei extrem schlaue Männer und eine Herde Rindviecher
In den meisten Überlieferungen des Mythos stammt Sisyphus aus Korinth und ist dort König.1 Als König ist er natürlich super reich. Das bedeutet in der Antike nicht nur, dass man einen Palast hat, teures Essen und Marmorstatuen in jedem Winkel des Hauses, sondern auch, dass man Rinder hat. Wer große Mengen an Vieh besitzt, ist reich.
Solche Rinderherden hatte auch Sisyphus. Leider stellte er fest, dass immer wieder einige seiner Rinder verschwanden. Schnell hatte er Autolykos, einen Sohn des göttlichen Meisterdiebes Hermes, in Verdacht, der für solche Sachen bekannt war. Autolykos war jedoch ebenso schlau wie sein Vater, so dass man ihm seine Diebstähle nie nachweisen konnte.
Doch auch Sisyphus war in Korinth dafür bekannt, dass er besonders klug war.2 Und so markierte er seine Rinder unter den Hufen mit einem Zeichen. Autolykos kam also wenig später wieder einmal, um unauffällig ein paar Rinder in die Jacken-Innentasche zu stecken und mitzunehmen. Doch dieses Mal hinterließen die entführten Wiederkäuer hübsch gemusterte Spuren im Schlamm. Denen konnte Sisyphus also einfach folgen und den Dieb so überführen.3
Wenn der Tod zu viel getrunken hat
Diese bekannte und schöne kleine Geschichte zeigt, dass Sisyphus weitaus klüger war als die meisten seiner Zeitgenossen und sogar einen Sohn des listigen Gottes Hermes hinters Licht führen konnte. Doch er war nicht nur klug, sondern auch überheblich. Irgendwann übertrieb es Sisyphus und legte sich nicht nur mit Menschen und Göttern, sondern sogar mit Naturgesetzen an.4 Keine gute Idee, wie man sich denken kann.
Wie es genau dazu kam, dass der Tod persönlich in Sisyphus‘ Palast auftauchte und hinter wem er her war, ist nicht bekannt. Sisyphus dachte sich aber jedenfalls, dass das doch eine Gelegenheit war, die man nutzen sollte und lud seinen nicht geladenen Gast auf einen Wein ein. War wohl guter Wein, denn dem Tod schmeckte der ziemlich. So gut, dass es Sisyphus gelang, den Tod abzufüllen. Der Tod verzichtete freundlicherweise darauf Ballermann-Hits zu grölen oder irgendwem in die Sandalen zu kotzen, sondern schlief einfach ein. Er gehörte also zu der eher sympathischen Art von Besoffenen.
Sisyphus ergriff nun also die Initiative, fesselte den völlig weggetretenen Tod und versteckte ihn in seinem Palast. So konnte niemand mehr sterben. Auch Sisyphus nicht. Und wer den Tod nicht mehr zu fürchten braucht, ist schon ziemlich nah am Göttlichen.
Stell dir vor, es ist Krieg und niemand stirbt
Kurze Zeit später hatte es sich offenbar rumgesprochen, dass niemand mehr starb. Auch der Kriegsgott Ares stellte irgendwann fest, dass seine Feinde auf dem Schlachtfeld, sich nach einem tödlichen Treffer nur kurz den Staub abklopften, wieder aufstanden und weiterkämpften. So machte dem Kriegsgott sein Job keinen Spaß mehr. Wenn es keine spritzenden Blutfontänen, splitternde Knochen und Leichenberge gab, wozu sollte man dann überhaupt noch Krieg führen? Wo blieb da der Spaß?
Irgendein Vögelchen zwitscherte Ares dann, dass er den Tod zuletzt bei Sisyphus in Korinth gesehen hatte. Wutschnaubend trat Ares ein paar Palasttüren ein, befreite den Tod (es ist nicht überliefert, ob der noch einen Kater hatte) und zog Sisyphus zur Verantwortung. Er übergab Sisyphus dem Tod und so fand sich Sisyphus schließlich in der Unterwelt wieder.
Alte Rechnungen
Nicht nur Ares wollte Sisyphus im Tartaros schmoren sehen, sondern auch der Göttervater Zeus. Auch dem hatte Sisyphus im Leben nämlich die Tour vermasselt.5 Als Zeus an einem langweiligen Sonntagmorgen mal wieder nichts Besseres zu tun hatte, entführte und vergewaltigte er Aigina, eine Tochter des Flussgottes Asopos.
Das hatte Sisyphus aber ungünstigerweise gesehen und Papa Asopos gepetzt, woraufhin Zeus etwas Stress mit dem Flussgott bekam. Besonders viele Freunde in der Götterwelt hatte Sisyphus also nicht und so konnte er auch nicht darauf setzen, dass die Unsterblichen Gnade walten lassen würden.
Ein klitzekleiner Fehler in einem genialen Plan
Aber Sisyphus hatte natürlich auch das kommen sehen. Er war ja schließlich besonders schlau. Bevor der Tod ihn in die Unterwelt verschleppte, hatte er nämlich bereits seine Frau Merope in seine Pläne involviert. Er hatte ihr aufgetragen, nach seinem Tod keine Totenopfer für ihn darzubringen. Das war absolut unmenschlich und das konnten auch die Götter der Unterwelt nicht zulassen.
Und so ließ Hades, der Gott der Unterwelt, Sisyphus noch einmal zurück ins Reich der Lebenden gehen, um seine Frau anzuweisen, Totenopfer darzubringen. Was fiel dieser Frau überhaupt ein! Einmal zurück dachte Sisyphus natürlich gar nicht dran, wieder in die Unterwelt hinabzusteigen und ein trostloses Schattendasein zu führen. So hatte er den Tod ein zweites Mal überlistet.
Hades und die anderen Gottheiten verwendeten aber auch nicht viel Energie darauf, Sisyphus zurückzuholen. Denn sein Plan hatte leider einen kleinen Schönheitsfehler: Irgendwann im hohen Alter musste Sisyphus ja trotzdem sterben. Und was waren ein paar Jahrzehnte mehr auf Erden schon angesichts der Ewigkeit, die er in der Unterwelt verbringen würde? Hades brauchte also nur geduldig zu warten.
Sisyphusarbeit – Endstation Unterwelt
Was Sisyphus dort erwartete, ist allgemein bekannt. Es ist auch der älteste Teil der Sage und war in der Antike schon weit verbreitet.6 Hades gibt Sisyphus die eigentlich leichte Aufgabe, einen Stein eine Anhöhe hinaufzutragen. Wie alle Bestrafungen in der Unterwelt hat das aber natürlich einen Haken: Der Stein rollt jedes Mal zurück, kurz bevor Sisyphus oben mit ihm ankommt.
Es ist die Sisyphusarbeit die jeder kennt: Eine völlig sinnlose Beschäftigung, die man nie zu Ende führen kann bzw. immer von vorne anfangen muss – Staubsaugen zum Beispiel. Hades hätte eine bis in alle Ewigkeiten perfekt staubgesaugte Unterwelt haben können, entschied sich dann aber doch für die Variante mit dem Stein.
Listigkeit ist erblich
Doch Sisyphus’ Linie war damit noch nicht ausgestorben. In vielen Varianten des Mythos hat er nämlich einen sehr berühmten unehelichen Sohn. Mit Antikleia zeugt er nämlich den einzigen Mann der Antike, der noch berüchtigter für seine Klugheit und Listigkeit ist, als Sisyphus selbst: Odysseus, den Erfinder des Trojanischen Pferdes.7
Sisyphus hat den Tod zweimal überlistet, musste am Ende aber doch, wie alle Sterblichen, in der Unterwelt einkehren. Durch die Arbeit, die er dort zu verrichten hat, ist er aber bis weit über die Antike hinaus bekannt geworden – in gewisser Weise ist er also doch unsterblich.
- Pausanias, II, 1,1 ↩
- Homer, Ilias VI, 152; Hesiod, Fragment 7 ↩
- Scholien zu Sophokles Aias 190; Hyginus, Fabulae. 201 ↩
- Die ganze Geschichte, wie Sisyphus den Tod überlistet, findet man in den Scholien zu Homer, Ilias VI 153 AD ↩
- Apollodor, Bibliotheke I 85; Pausanias, II 5,1 ↩
- Homer, Odyssee XI 593 – 600 ↩
- Scholien zu Homer Ilias X 266, Scholien zu Sophokles Aias 190, Hyginus, Fabulae 201 ↩
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