Heute geht es ums Essen. Genau genommen ehren wir eine Frucht, die auch heute noch zu den leckersten und vielseitigsten landwirtschaftlichen Erzeugnissen Europas gehört, aber in den antiken Kulturen eine ganz besondere Bedeutung hatte: Die Olive.
Auch heute hat die Olive noch ihre Fans, nicht nur im Mittelmeerraum, wo sie heimisch ist. Es gibt sie in etlichen Varianten, eingelegt in Öl, pur oder mit Gewürzen, gefüllt mit Frischkäse oder Pinienkernen, und sie bringen einen Hauch von mediterranem Flair in unsere mitteleuropäische Küche, sei es im Salat, einfach auf Brot oder als Vorspeise in Form von Tapas. Und dann gibt es ja noch das Öl, das als Kennzeichen der etwas gehobeneren Küche gilt und zu dessen Qualität es fast eine eigene Wissenschaft gibt. Das ist aber noch nichts zu den alten Griechen. Dort galt der Olivenbaum buchstäblich als heilig. In Athen war es sogar verboten, ohne offizielle staatliche Erlaubnis einen Olivenbaum abzuholzen, auch wenn er einem selbst gehörte.1
Ein Philosoph, der es allen zeigte
Was aber machte den Olivenbaum so besonders? Da wären vor allem zahlreiche Eigenheiten zu nennen, die den Olivenanbau zu einer nicht ganz einfachen Angelegenheit machen. Zum einen werden Olivenbäume unglaublich alt. Es gibt noch heute Exemplare, deren Alter in die Tausende geht. Und weil er eine so lange Lebensdauer hat, lässt sich der Olivenbaum Zeit. Erst nach 15 bis 20 Jahren beginnt er überhaupt, Früchte zu tragen. Und dann tut er es auch nicht jedes Jahr und ist empfindlich, was seine Pflege angeht. Er darf nicht zu viel und nicht zu wenig Wasser bekommen. Die Olivenernte ließ sich in der Antike tatsächlich daher nur bedingt vorhersagen.
Einer soll es aber gekonnt haben, nämlich der Philosoph und Wissenschaftler Thales (ja, das ist der berühmte mutmaßliche Erfinder des Satzes des Thales). Seine Kritiker verspotteten ihn, denn was brachte die Wissenschaft schon ein? Immerhin lebte Thales ziemlich bescheiden.
Aber er zeigte es ihnen. Mitten im Winter mietete er für wenig Geld sämtliche Olivenpressen in Milet und im Umland. Er hatte durch genaue Himmelsbeobachtungen eine Prognose über das Wetter des kommenden Jahres und damit die Olivenernte anstellen können, und zwar lange vor der Blütezeit der Olivenbäume, an der man seinerzeit die anstehende Erntemenge ablas.
Als die Erntezeit kam, wurde Thales, der das Monopol auf alle Olivenpressen besaß, unfassbar reich.2 Natürlich ist das nur eine der zahllosen Anekdoten, die über antike Philosophen zirkulieren. Wahr ist sie vermutlich nicht, denn wir wissen schließlich heute, dass man das Wetter nur schwer Monate im Voraus vorhersagen kann. Und man liest es gewöhnlich auch nicht gerade an Sternenkonstellationen ab.
Nahrhaft und lecker – eine gute Kombination
Aus diesen Besonderheiten erklärt sich, warum man Olivenbäume wie rohe Eier behandelte. Aber das alles könnte ja noch egal sein, wenn die Frucht an sich unwichtig wäre. Welche Bedeutung die Olive aber für die antiken Kulturen hatte, das kommt jetzt.
Dass Oliven nahrhaft und schmackhaft sind, das wissen wir heute auch noch. Da sie in Mitteleuropa nicht gedeiht, kommt sie bei uns allerdings seltener auf den Tisch als im sonnigen Süden. Und so war sie auch für Griechen und Römer beinahe ein Grundnahrungsmittel.
Sie genossen Oliven aber nicht nur eingelegt in Essig und Salz als herzhaften Snack (ähnlich unseren heutigen Tapas und Antipasti), sondern auch süß in Honig und Most. Oliven sind sehr fetthaltig und waren damit als Ersatz für tierische Fette für die Ernährung wichtig. Genau genommen galt es in der Antike sogar als kultiviert, auf tierische Produkte möglichst zu verzichten.
Die Durchschnitssgriech*innen oder -römer*innen aßen Oliven regelmäßig zu einem Stück Brot, das man vielleicht zusätzlich noch in Essig oder Wein getaucht hatte. Das war das Standard-Frühstück der Antike.3 Außerdem ist die Olive praktischerweise auch sehr haltbar und kann fast ein Jahr lang aufbewahrt werden. Das war für die Antike, in der man ja noch keine Tiefkühltruhen kannte, auch ein wichtiger Pluspunkt.
Was man aus Oliven noch so machen kann
Auch das Öl wurde in der antiken Küche ähnlich genutzt wie heute, allerdings war die Herstellung natürlich aufwendiger als die Gewinnung von Oliven für den Verzehr. Zuerst mussten die Kerne entfernt werden, wofür man im Laufe der Zeit ein eigenes Gerät, das trapetum, entwickelte. Geraten die Kerne nämlich mit ins Öl, wird es bitter.
Übrigens galt das Öl der grünen Oliven als das beste, während man aus den dunkleren, reiferen Oliven mehr davon gewinnen konnte. An der Stelle übrigens ein Tipp: Oft sind die schwarzen Oliven, die man hierzulande kaufen kann, keine echten schwarzen Oliven. Sie werden mit Eisengluconat eingefärbt. Darauf sollte man beim Einkauf achten.
Waren die Oliven entkernt, wurden sie in schweißtreibender Arbeit ausgepresst. Das war für die Antike eine klassische Tätigkeit für Sklaven. Kein Wunder: Wer würde das schon freiwillig machen wollen? Auch hier gab es wieder Unterschiede: Das erste Öl, das austrat, galt als das beste, während sich das letzte Öl nur noch als Salböl eignete.
Damit sind wir jetzt bei einem Bereich, an den wir bei der Olive heute vielleicht nicht mehr unbedingt denken: Der Körperpflege. Nach dem Bad und vor dem Sport rieb man sich regelmäßig mit Öl ein 4, und hierfür kam vor allem Olivenöl zur Anwendung, das man gern auch mit zusätzlichen Duftstoffen versetzte. Auch heute erwecken viele Duschgels, Badezusätze und Waschlotionen durch ihre Bebilderung und Benennung die Assoziation mit der heilsamen und pflegenden Kraft der Olive. Ob sie solche Kräfte hat, lassen wir mal außen vor. Womöglich handelt es sich um geschicktes Marketing. Außer der leicht grünlichen Färbung und den Abbildungen auf der Vorderseite haben diese Pflegeprodukte ohnehin wohl fast nichts mit mehr mit ihren Vorgängern aus der Antike gemein. Es würde auch kaum unserem heutigen Geschmack entsprechen, wenn die diversen Pflegeprodukte tatsächlich aus Olivenöl bestünden und auch so riechen würden.
Oliven sorgten auch für Licht
Ein Anwendungsfall fehlt aber noch, denn auch für schlecht gewordenes oder minderwertiges Olivenöl hatte man in der Antike noch Verwendung: Es kam als Lampenöl zum Einsatz. Auch das ist so eine Anwendung, an den wir heute nicht mehr denken würden. In der Antike gab es genau zwei Leuchtmittel: Fackeln und Öllampen. Kerzen wurden erst später erfunden. Fackeln sind aus nachvollziehbaren Gründen – vor allem in Innenräumen – nicht unbedingt immer das praktikabelste Leuchtmittel. Und so gab es in der Antike Öllampen in allen möglichen Varianten, Größen und Formen. Die Spanne reichte von einfach und schlicht bis zu kunstvoll und mit detaillierten Bilder verziert. Auch nicht ganz jugendfreie Exemplare waren darunter.
Das kennen wir von heutigen Öllampen natürlich auch noch, denn für uns erfüllen sie keinen praktischen Zweck mehr, sondern sollen in erster Linie schön sein. Die pornographischen Varianten sind dabei etwas aus der Mode gekommen, und wir verwenden auch heute in der Regel kein Olivenöl mehr, um damit eine Lampe zu befüllen, sondern Mineralöle. Die Antike war aber natürlich auf Naturprodukte angewiesen.
Man kann sich nun leicht ausmalen, dass der Bedarf an Oliven und Olivenöl immens gewesen sein muss. Der Pflanze kam, neben Getreide und Wein, eine Schlüsselposition in der landwirtschaftlichen Produktion zu. Diese Bedeutung spiegelt sich auch in zahlreichen Geschichten aus dem reichen Mythenschatz der Antike wider.
Warum Athen „Athen“ heißt und was das Ganze mit der Olive zu tun hat
Als die Athener ihre Stadt gründeten, so geht die Legende, mussten sie eine Stadtgottheit wählen. Das war im gesamten Altertum so üblich. Jede Stadt erkor sich eine Gottheit als Schutzpatron(in) aus, die) für das Wohlergehen der Gemeinschaft fortan sorgen sollte. Das war übrigens nicht nur in Griechenland und Rom so, sondern auch im vorderen Orient, wofür der Ba’al im Alten Testament ein Beispiel ist. Im Fall von Athen gerieten die Götter Poseidon und Athene aber in Streit, welcher von beiden denn nun Stadtgott oder -göttin von Athen werden solle.
Göttervater Zeus höchstselbst schaltete sich in den Konflikt ein und schlug vor, dass beide den Athenern ein Geschenk machen sollten. Die Athener sollten urteilen, welches Geschenk das nützlichere sei und entsprechend wählen.
Poseidon stieß mit seinem Dreizack in den Boden und ließ eine Quelle hervorsprudeln. Wasser – natürlich eine wichtige Gabe, zumal im heißen Süden. Athene jedoch entschied sich, den Athenern einen Olivenbaum zu schenken. Er war multifunktional und versprach Reichtum. Wie die Entscheidung ausging, kann man am Namen der Stadt und der Bezeichnung seiner Einwohner ablesen.5
Siegeszeichen und Symbol der ewigen Liebe
Wie sehr der Olivenbaum auch außerhalb von Athen Verehrung genoss, zeigt die Siegerehrung der olympischen Spiele. Denn dort erhielten die Olympioniken als Siegesgeschenk einen Zweig des Olivenbaumes, der zu Ehren des Zeus im dortigen Heiligtum wuchs und gepflegt wurde.6 Da die notorisch zerstrittenen griechischen Stadtstaaten während der olympischen Spiele Frieden hielten, wurde der Ölzweig zu einem Friedenssymbol. Und er ist es geblieben, denn er findet sich noch heute im Logo der Vereinten Nationen.
Odysseus, der sagenhafte Herrscher der Insel Ithaka, baute gar sein Haus um einen imposanten Olivenbaum herum. Als er nach seiner 20jährigen Kriegs- und Irrfahrt nach Hause zurückkehrte, war es für ihn ein besonderer Moment, als er dieses Symbol seines Zuhauses endlich wiedersehen konnte.7 Der Baum nahm sogar eine sehr zentrale Stellung ein, denn er stand im Schlafgemach des listigen Kriegshelden und Abenteurers. Odysseus stutzte ihn zurecht, glättete sein Äußeres und befestigte die Teile des Ehebettes am Stamm des Baumes, so dass er Teil des Fußendes wurde. Da Olivenbäume ein sehr hartes Holz besitzen, mag dies ein schönes Symbol für die Unerschütterlichkeit der Liebe sein, die Odysseus mit seiner Frau Penelope verband.
Die Olive hat als Nutzpflanze also eine sehr lange und ziemlich außergewöhnliche Geschichte hinter sich. Auch wenn wir sie heutzutage nicht mehr durch Mythen und Legenden überhöhen, so hat sie doch einen ganze besonderen Platz in unserer Küche behauptet. Und das nicht nur in Griechenland und Rom, sondern inzwischen auch bei uns im kalten Norden und in vielen anderen Regionen der Welt.
- Das entsprechende Gesetz zitiert Demosthenes in Rede 43 (gegen Makartatos), 71 ↩
- Aristoteles, Politik 1259a ↩
- Näheres über die Essensgewohnheiten der griechisch-römischen Antike liefert der Eintrag „Kochkunst“ in der Realenzyklopädie der Klassischen Alterumswissenschaften. ↩
- Ovid, Metamorphosen X, 175-176 ↩
- Herodot VIII,55; Apollodor, Bibliotheke III,14,1 ↩
- Herodot VIII,26 ↩
- Homer, Odyssee 23,190-201 ↩
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