Europa ist ein Kontinent mit Weitblick. Also, zumindest dem Namen nach. Oder vielleicht auch nicht? Wenn man nach den Ursprüngen geografischer Bezeichnungen sucht, dann kann das zu einer Odyssee werden. Aber im Fall von „Europa“ wird man dann doch wenigstens fündig.
Kein „Fremdwort“, aber trotzdem interessant
Ja, zugegeben, mit dem Begriff „Fremdwort“ schludern wir diese Woche wieder mal ein bisschen. Und das tun wir in nächster Zeit noch ein paar Mal, wenn Asien und Afrika drankommen. Man sollte wohl eher von einem Eigennamen sprechen. Aber immerhin kommen diese Eigennamen so oft in unserem Alltag vor, dass man sich da doch mal die Frage stellen kann, woher sie eigentlich stammen. Und das ist gar nicht mal so einfach zu beantworten.
Zunächst mal können wir den Namen „Europa“ sicher bis in die Antike und ins alte Griechenland zurückverfolgen. Da taucht er zum ersten Mal auf. Und die griechische Mythologie hält für uns gleich eine ganze Geschichte bereit, wie der Kontinent angeblich zu seinem Namen gekommen ist. Der Sage nach war „Europa“ der Name einer Königstochter, die der Gott Zeus aus Phönizien entführte und nach Kreta brachte. Nach ihr sei dann der Erdteil benannt worden, zu dem die Insel Kreta heute noch gehört.
Wie man das Wort im alten Griechenland erklärte
Nun ja, abgesehen davon, dass das natürlich nur eine Sage ist, die mit Sicherheit nicht stimmt: Sie erklärt auch nicht, was der Name bedeutet. Aber auch da hilft uns die Antike weiter. Die Alten Griech*innen leiteten das Wort von den beiden Wörtern εὐρύς (eurys) „weit, breit“ und ὄψ (ops) „Sicht“ oder „Sichtfeld“ her. Demnach bedeutet der Name Europa so viel wie „die mit dem weiten Sichtfeld“ oder „die weit Blickende“.
So was nennt man übrigens eine „Volksetymologie“. Das bedeutet, dass ein Begriff, dessen Herkunft nicht mehr verstanden wird, mit „Küchenwissenschaft“ erklärt wird. Das alles ist wissenschaftlich nämlich nicht haltbar. Überhaupt ist es sehr wahrscheinlich, dass der Name „Europa“ noch viel älter ist und nicht aus der griechischen Sprache stammt.
Vielleicht phönizisch?
Aber ab hier verlässt uns dann die wissenschaftliche Gewissheit. Wir können auf jeden Fall noch guten Gewissens annehmen, dass der Name aus einer vorderasiatischen Sprache stammt, zum Beispiel aus dem Phönizischen. Aber wirklich sicher können wir uns nicht sein.
Das liegt unter anderem daran, dass wir es hier mit einer so genannten Trümmersprache zu tun haben. Sie ist nur schlecht überliefert. Und dieser schlechte Überlieferungszustand erlaubt es uns leider in vielen Fällen nicht mehr, eindeutige oder unzweifelhafte Herkunftsangaben zu machen.
Trotzdem gibt es immerhin einen heißen Kandidaten. Das phönizische Wort ɂerob bedeutet „Abend“ oder „Sonnenuntergang“. Das kleine komische Fragezeichen (ɂ) am Anfang steht übrigens für einen Knacklaut, den wir in unseren europäischen Sprachen nicht kennen. Den kannten auch die Griech*innen nicht und ließen ihn einfach weg. Von „erob“ ist es klanglich nun wirklich nicht mehr weit bis zu „Europa“.
Eine These, die einiges für sich hat
Aber auch inhaltlich gibt das Sinn, denn dann wäre „Europa“ tatsächlich so was wie die phönizische Variante eines Ausdrucks, den wir heute noch benutzen, nämlich „Abendland“. Gestützt wird diese Hypothese durch zwei weitere Indizien.
Das arabische Wort „Magreb“ für die nordwestafrikanischen Staaten geht auf dasselbe altsemitische Wort zurück. Interessanterweise heißt das ebenfalls „Sonnenuntergang“. Aus arabischer Perspektive sind also eher Marokko und Algerien das „Abendland“, weil sie von Arabien aus im Westen liegen. Was wiederum ganz spannend ist, wenn manche Verschwörungstheoretiker*innen vom Untergang des Abendlandes faseln und damit die vermeintliche massenhafte Zuwanderung aus islamisch geprägten Ländern meinen.
Und das zweite Indiz: Auch der Begriff „Asien“ hat vermutlich einen ähnlichen Ursprung und bedeutet analog „Morgenland“. Das spricht dafür, dass wir mit den Namen „Europa“ und „Asien“ ein Gegensatzpaar haben, das in den alten semitischen Sprachen des Nahen Ostens eben „Abend-“ und „Morgenland“ bedeutete.
Wenn das alles so stimmt, dann haben wir dem Nahen Osten also nicht nur eine ganze Menge an kulturellen Errungenschaften (Städte, Landwirtschaft und Schrift) zu verdanken, sondern auch noch den Namen für den Erdteil, auf dem wir heute leben.