Denkt ihr euch jetzt vielleicht auch gerade: Was zum … ist ein „Palindrom“? Na ja: Otto ist zum Beispiel ein Palindrom. Ja, jeder Otto, ohne Ausnahme. Hannah übrigens auch. Aber auch ein Reliefpfeiler ist ein Palindrom. Verwirrt? Ok, dann können wir ja loslegen.
Die ganz Schnellen unter euch haben es vielleicht schon gecheckt: Alle diese Wörter, die da im Teaser vorkamen, also „Otto“, „Hannah“ und, ja auch der „Reliefpfeiler“, haben eins gemeinsam: Man kann sie von vorne und von hinten lesen. „Regallager“ ist auch so ein wunderbares Wort. Oder „Rentner“. Dieses Prinzip bezeichnet man in der Sprachwissenschaft als „Palindrom“.
Es stammt aus dem Altgriechischen und setzt sich aus den beiden Bestandteilen πάλιν (pálin) für „wieder“ und δρόμος (drómos) für „Lauf“ zusammen. Zusammengesetzt könnte man es also als „Wiederlauf“ bzw. als „erneuter Lauf“ übersetzen. Man stellt sich dabei den Lesevorgang also wie eine Art „Lauf“ vor. Der beginnt links, geht nach rechts, und wenn man am Ende angekommen ist, kann man sozusagen umdrehen und noch mal von rechts nach links laufen. (Und man kann das auch gerne so oft wiederholen, bis man irgendwann wahnsinnig geworden ist.)
Soweit ist das Fremdwort also recht schnell erklärt. Aber man kann an diesen Begriff auch noch ein bisschen nutzloses Wissen anfügen und einen kurzen Ausflug in die Geschichte der Schrift machen. Denn dass wir heute (hier, in Mitteleuropa) üblicherweise von links nach rechts lesen, ist nicht selbstverständlich. Um das zu verstehen, reicht schon ein Blick in den Nahen Osten, wo Sprachen wie Arabisch und Hebräisch genau anders herum geschrieben und gelesen werden.
Aber wie kommt das eigentlich, dass manche Schriften so und andere so geschrieben werden? Dazu gibt und gab es zahlreiche Theorien. Fest steht: In dem Moment, in dem ich etwas mit Tinte schreibe, ist es für Rechtshänder*innen praktischer, von links nach rechts zu schreiben, denn so verschmiert man mit der Schreibhand nicht die frische Tinte. Und weil Rechtshänder*innen nun mal in der Mehrzahl sind, könnte das erklären, dass es zumindest in sehr vielen Kulturen irgendwann üblich wurde, von links nach rechts zu schreiben.
Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch: Es muss eine Zeit gegeben haben, in der das anders war, also in der die Verwendung von Tinte kein entscheidendes Argument war. Und dafür, dass die Schreibrichtung nicht festgelegt war, finden wir in der Antike zahlreiche Beispiele, auch im Alten Griechenland und im antiken Italien. Es gibt zahlreiche Inschriften, die von links nach rechts oder von rechts nach links laufen.
Und dann gibt es noch besonders exquisite Exemplare, in denen die Schreibung von Zeile zu Zeile wechselt. Ist man also am Ende einer Zeile angekommen, muss man sich nicht die Mühe machen, mit dem Auge wieder nach links zurückzuspringen, sonder liest die nächste Zeile einfach „rückwärts“. Eigentlich sehr lesefreundlich und kaloriensparend. Hat eigentlich schon mal jemand ausgerechnet, wie viele Kalorien so ein Augenmuskel verbraucht, wenn er dauernd vom Ende einer Zeile wieder ganz nach links zurückspringen muss?
Egal. Jedenfalls setzte sich schon in der Antike die Schreibrichtung von links nach rechts größtenteils durch. Sowohl im klassischen Griechenland, als auch im Hellenismus, der römischen Republik und erst recht im römischen Kaiserreich, gibt es fast ausschließlich Inschriften, die von links nach rechts laufen.
Ob man da gut mit dem Tinte-Argument von eben weiterkommt? Darüber kann man streiten. Natürlich haben die Menschen in der Antike nicht nur auf Steine geschrieben. Sie haben auch Tinte (oder ähnliche Stoffe) verwendet, um zum Beispiel auf Papyrus zu schreiben. Da ist es schon möglich, dass sich eben aufgrund der vorherrschenden Rechtshändigkeit (ist das überhaupt ein Wort?) die Schreibrichtung von links nach rechts durchsetzte und dann eben auch auf Inschriften so praktiziert wurde. Sicher wissen können wir das aber nicht.
Und warum diese fancy Schreibweise aus der Mode gekommen ist, bei der die Richtung dauernd wechselt? Also erst mal gibt es auch dafür einen Fachbegriff: Boustrophedon. Das bedeutet in etwa „nach Art eines Ochsen“, weil die Schreibrichtung genauso wechselt wie ein Ochse beim Pflügen eines Ackers in jeder Reihe immer die Richtung wechselt: erst von links nach rechts und dann in der nächsten Reihe zurück.
Und dass diese Schreibweise irgendwann nicht mehr so ganz dem Zeitgeist entsprach, kann man auch heute noch nachvollziehen. So sehr sie auch die Augenmuskeln schonen mag: Sie ist eher unpraktisch und verwirrend. Wir wissen ja heute, dass wir beim Lesen selten alle Buchstaben einzeln aufnehmen (außer vielleicht bei Fremdsprachen), sondern uns eher die Form und die Gestalt von Wörtern merken. Deswegen fallen uns Buchstabendreher auch oft erst beim zweiten Lesen auf.
Und das funktioniert beim Boustrophedon eher mittelmäßig. Das bedeutet: Was wir an Energie beim aka Auge einsparen, bedeutet mehr Denkprozesse im Gehirn. Und das ist ein schlechter Deal, denn Denkprozesse brauchen mehr Energie als die Bewegung eines winzigen Muskels.
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