Paragraf – Fremdwort der Woche

Niemand mag Paragrafen. Oder? Wenn man schon so was hört oder liest wie „§ 4, Absatz 3 BaFinHwgebV“, löst das bei vielen von uns so einen leichten Gähnreflex aus. Aber dann gibt es auch die Fälle, in denen ein einzelner Paragraf so richtig bekannt wird und zum Gegenstand öffentlicher Debatten, wie Paragraf 218 Strafgesetzbuch, der sogenannte „Abtreibungsparagraf“, an dem sich regelmäßig die Gemüter erhitzen. 

Paragrafen haben es nicht leicht: Einerseits öden sie uns an, andererseits können sie für uns eine große Hilfe sein oder für viel Aufregung sorgen. Aber woher kommen eigentlich die Paragrafen?

Gleich vorweg: Die Geschichte des Rechts und wie sich Gesetzgebung im Laufe von Jahrtausenden entwickelt hat, das ist natürlich ein riesiges Thema und viel zu groß für dieses Format. Immerhin ist der „Codex des Hammurabi“ einer der ältesten Gesetzestexte, die wir kennen, und knapp 4.000 Jahre alt. Und der hatte im Grunde auch schon Paragrafen, denn die einzelnen Gesetze und Regelungen waren in Abschnitte sortiert und gegliedert. 

Die Wortherkunft…

Aber der Begriff „Paragraf“ ist deutlich jünger und stammt aus dem Altgriechischen. Seine Bedeutung ist relativ schlicht: παράγραφος (parágraphos) bedeutet „die daneben Geschriebene“. Zu ergänzen ist der Begriff „Linie“. Eine Paragraphos ist eine „daneben geschriebene Linie“. 

Und damit wären wir schon mal bei einem Punkt, den heute keine Sau weiß: Eigentlich müsste es „die“ Paragraf heißen, und nicht „der“ Paragraf. Das hat was mit den Feinheiten der altgriechischen Sprache zu tun, die wir hier überspringen. Man kann es sich aber auch so erklären, dass eben das Wort „Linie“ zu ergänzen ist. Das ist im Deutschen ja auch weiblich, daher „die daneben Geschriebene“.1

… und die Verwendung

Das Ganze verrät uns aber noch eine zweite Sache: Es handelte sich bei einer Parágraphos um eine waagerechte Linie, die irgendwo daneben geschrieben wurde. Nein, genau genommen nicht irgendwo, sondern (meist) auf der linken Seite neben den Text. Und oft hatte sie noch ein kleines Häkchen auf der linken Seite.  

Die Linie diente dazu, schlicht und ergreifend Abschnitte in einem längeren Text zu markieren. Daher kam sie ursprünglich in vielen Zusammenhängen zum Einsatz und längst nicht nur in Gesetzestexten. Ein Beispiel hätte man vielleicht eher weniger erwartet: Schauspieltexte. Die Parágraphos wurde genutzt, um die Sprecheinsätze von Personen zu markieren. Bei heutigen Theatertexten oder Drehbüchern steht in der Regel in einem solchen Fall der Name der Figur dabei, aber das gab es in der Antike nicht, um Platz zu sparen. Man setzte nur einen kleinen Strich an den Rand um anzuzeigen, dass hier jemand anders sprechen sollte. Wer das war, das war entweder allen Beteiligten klar oder ergab sich aus dem Kontext. 

Aber das nur am Rande. Kehren wir zurück zum juristischen Bereich. Die Parágraphos wurde auch dazu verwendet, Abschnitte in Gesetzestexten zu markieren, also in etwa so, wie wir es heute auch noch tun. 

Und woher kommt das Zeichen (§)?

Aber wie entwickelte sich eigentlich das charakteristische Zeichen (§), das wir heute verwenden? Das wiederum ist eine spannende Frage, die sich nicht abschließend beantworten lässt, weil es unterschiedliche Theorien dazu gibt, die alle etwas kompliziert werden, weil sie mehrere Zwischenstufen enthalten und man hierzu tief in die unterschiedlichen Schriften des Mittelalters einsteigen müsste. 

Aber eine These ist recht leicht zu verstehen und ist auch erfreulicherweise diejenige, die von den meisten Forschenden akzeptiert wird. Demnach hat unser Paragrafenzeichen gar nichts mit der waagerechten Linie zu tun, die es in der Antike gab. Und sie hat sich auch nicht über verschiedene Zwischenstufen in irgendwelchen fancy karolingischen Minuskeln und gotischer Schrift oder sonst was entwickelt. 

Vielmehr schrieb man im lateinischen Mittelalter zweimal „S“ neben einen neuen Abschnitt, also „SS“. Das war die Abkürzung für „signum sectionis“, also so etwas wie „Zeichen für einen Abschnitt“. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich nun vorzustellen, dass man diese beiden „S“ aus Platzgründen zusammenzog und leicht nach oben und unten versetzt schrieb, so dass sich daraus das moderne Paragrafenzeichen ergab. 

Ob diese These so stimmt, lässt sich nicht beweisen, aber sie hat (abgesehen von ihrer Einfachheit) noch einen zweiten Pluspunkt auf ihrer Seite: Das Zeichen taucht erstmals etwa ab dem 16. Jahrhundert auf, also in einer Zeit, in der es allmählich vorbei war mit den vielen fancy Schriften. 

So oder so hat das Paragrafenzeichen und auch der Begriff „Paragraf“ eine ziemlich lange Entwicklung hinter sich. Und wenn ihr beim nächsten Mal wieder mit absolut unnötigem Klugscheißerwissen glänzen wollt, wisst ihr jetzt auch, dass man genau genommen „die“ Paragraf sagen müsste. Ihr dürft gern ab heute anfangen, euren Mitmenschen damit auf die Nerven zu gehen und sie ständig zu korrigieren. Wir wünschen euch viel Spaß dabei. 

  1. Für diejenigen, die es wirklich genau wissen möchten: Wörter, die mit -ος (-os) enden, sind im Altgriechischen meistens maskulin. Aber παράγραφος (parágraphos) ist ein Adjektiv. Und da gibt es eine ganze Reihe von Adjektiven, die in der maskulinen und in der femininen Form immer auf -ος (-os) enden. Man nennt sie „zweiendige Adjektive“. Mit einem solchen haben wir es hier zu tun. Παράγραφος (parágraphos) ist ein zweiendiges Adjektiv. Es endet also auch im Femininum auf -ος (-os). Das Bezugswort des Adjektivs, das man sich ergänzt denken muss, ist γραμμή (grammé), „Linie“. Dieses Wort ist weiblich, daher ist auch παράγραφος (parágraphos) feminin.

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