Hitchcock’s „Vögel“ sind ein Klassiker des Horrorgenres. Muss man unbedingt gesehen haben. Und Goethes „Faust“ muss man auch gelesen haben. Ist ja schließlich ein Klassiker. Und wie schön, dass es jetzt Apple Music Classical gibt. Da kann man den ganzen Tag klassische Musik hören. Ein absolutes Muss. Oder nicht?
Nein, natürlich nicht. Was „klassisch“ ist, das ist immer Definitionssache. Und ob man sich mit so genannten Klassikern befasst oder nicht, ist zum Glück weitestgehend der persönlichen Vorliebe überlassen. Aber woher kommt der Begriff? Und was bedeutet er ursprünglich?
Die moderne Bedeutung
Uff. „Klassisch“ ist wirklich kein einfaches Wort, und zwar sowohl, was die heutige Bedeutung angeht, als auch seine Herkunft und Entwicklung. Aber versuchen wir’s mal. Was ist „klassisch“ oder ein „Klassiker“? Darüber kann man viel und lange diskutieren und streiten.
Wir kennen Klassiker aus der Literatur, aber auch aus dem Film. Man kennt die klassische Musik, aber auch diverse klassische Epochen der Geschichte, wie das „klassische Griechenland“ oder Rom.
Wenn man mal versuchen möchte, eine halbwegs allgemeingültige Beschreibung zu finden, dann beinhaltet das Wort „klassisch“ mehrere Dinge: In der Regel sind Klassiker alt oder zumindest schon etwas älter. Außerdem haben sie eine besondere Qualität und Bedeutung. Wenn ein Film zu den „Klassikern“ zählt, dann bedeutet das oft, dass man ihn unbedingt gesehen haben muss.
Aber Filme sind auch ein gutes Beispiel für einen dritten Aspekt: Klassische Kulturwerke sind stilbildend, das heißt: Sie haben Eigenschaften, die später von anderen übernommen, imitiert und weiterentwickelt wurden. Vielleicht wurden sie auch bewusst zu einer Karikatur überzeichnet. Auch das zeichnet viele Klassiker aus: dass sie auch oft zum Gegenstand von (mehr oder weniger) liebevollen Persiflagen wurden.
Das war nun ein relativ langer Part darüber, was die Begriffe „klassisch“ oder „Klassiker“ für uns heute bedeuten. Und im Grunde war dieser lange Part noch zu kurz. Eine Sache fehlt aber noch: Was als „Klassiker“ zählt oder als „klassisch“ bezeichnet wird, ist Verhandlungssache. Und da fangen die Probleme an. Denn auch wenn es sicherlich eine ganze Reihe von Kunst- und Kulturwerken gibt, bei denen wir uns größtenteils einig sind, dass sie als „klassisch“ zu gelten haben, gibt es auch mindestens ebenso viele Werke, bei denen man sich nicht so schnell einig wird.
Der lateinischen Ursprung des Wortes
Um zu verstehen, wie der Begriff „klassisch“ entstanden ist, müssen wir uns ins Alte Rom bewegen. Im Lateinunterricht hat man vielleicht mal die Vokabel classis gelernt. Und als Bedeutung hat man vielleicht „Flotte“ gelernt. Das Wort bezeichnet im klassischen (ja, da kommen wir auch noch mal drauf) Latein oft Schiffs- oder auch Truppenverbände.
Das ist aber eigentlich schon eine etwas speziellere Bedeutung dieser Vokabel. Grundsätzlich bedeutet classis nämlich so etwas wie „fest eingeteilte Gruppe“. Daher übrigens auch die Klasse in der Schule. Das Wörtchen classis wurde aber im Alten Rom auch dazu verwendet, um gesellschaftliche Klassen zu bezeichnen. So verwenden wir den Ausdruck „Klasse“ ja auch heute noch oft.
Das dazu gehörende Adjektiv classicus bedeutet demnach „zu einer bestimmten Gruppe gehörig“. Und dieses Adjektiv ist der Ursprung unserer modernen Ausdrücke „klassisch“ und „Klassiker“. Das Wort bedeutete aber schon in der Antike nicht nur allgemein „zu einer bestimmten Gruppe gehörig“, sondern auch schon speziell „zur ersten oder obersten Klasse gehörig“. Gemeint waren damit die Angehörigen der römischen Oberschicht.
Im nächsten Schritt kommt es dann zu einer Wertung und damit zu einer Bedeutungsverschiebung. Wenn etwas „zur Oberschicht gehört“, dann ist es auch vorbildlich, stilbildend, prägend und etwas, was man unbedingt kennen und nachahmen sollte.
Das zielte auf die Lebensweise der Menschen der Oberschicht ab, und das Phänomen kennen wir ja auch heute noch: Viele Menschen orientieren sich an modischen Finessen, der Einrichtung, allgemein am Lifestyle von Personen, die sie als „Oberschicht“ empfinden und deswegen als Vorbilder ansehen.
Geschichte und Klassik
„Vorbild“ ist dabei ein wichtiges Schlagwort, denn damit kommen wir zum Abschluss noch zu einem ganz besonderen Aspekt des Wortes „klassisch“. Es taucht nämlich auch im Zusammenhang mit diversen Epochen der Geschichte auf, vor allem wenn es um die Antike geht.
Wir sprechen vom „klassischen Griechenland“ oder (siehe oben) vom „klassischen Latein“. Und das hat etwas mit dem Verständnis von Geschichte zu tun, das vor allem im 19. Jhd. vorherrschte. Dabei hat man die Entwicklung von Völkern und Reichen in der Geschichte oft wie eine Evolution verstanden. Es gab demnach eine primitive Phase (Archaik), eine Hochphase (Klassik) und dann einen Abstieg (Nachklassik). Das Modell ist heute überholt. Aber wir benutzen die Begriffe immer noch, einfach weil sie etabliert sind.
Aber eben weil der Begriff „klassisch“ oder „Klassik“ auch so eine stark wertende Bedeutung hatte und hat, galten bestimmte Epochen auch als vorbildlich und sollten bitte fleißig imitiert werden. Beim klassischen Latein und beim klassischen Griechisch ist das übrigens bis heute so: Das, was man an Schulen und Universitäten (zuerst) lernt, sind jeweils die Entwicklungsstände dieser Sprachen, die einer eng umrissenen Definition von „klassisch“ entsprechen. Das hat aber für das Erlernen einer Alten Sprache auch gewisse Vorteile, weil man sich zunächst auf eine Epoche der Sprachentwicklung konzentrieren kann.
In unserem Alltag sind wir glücklicherweise aber etwas flexibler geworden, was den Umgang mit „Klassikern“ und „klassischen“ Werken angeht. Wir akzeptieren heute in der Regel, dass man hier zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen kommen kann. Und das ist auch gut so.
Aber Hitchcock’s „Vögel“ sollte man trotzdem unbedingt gesehen haben.
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