Adoptionen sind heute oft der glückliche Abschluss einer problematischen oder sogar traurigen Geschichte. Das Kindeswohl steht für uns heute dabei im Vordergrund. Ob aber dafür der alte römische Begriff „Adoption“ wirklich so passend ist, darüber kann man streiten, wenn man sich mal anschaut, was eine Adoption in der Antike bedeutete.
Adoptionen gab es schon im Alten Rom. Das ist vielleicht erst mal jetzt nicht so überraschend. Denn wenn man so darüber nachdenkt: Dass Kinder, die Ihre Eltern aus welchen Gründen auch immer verloren hatten, versorgt werden mussten – dieses Problem dürfte es wohl schon in allen Gesellschaften in der Geschichte gegeben haben.
Und abgesehen von Waisenhäusern oder ähnlichen Einrichtungen dürfte es wohl auch schon in vielen Gesellschaften das Phänomen gegeben haben, dass Erwachsene ein Kind dauerhaft zu sich nahmen und es zu einem Teil des eigenen Haushalts und der eigenen Familie machten.
Bei einer Adoption in unserem modernen Sinn geht es aber natürlich nicht „nur“ darum, dass ein Kind von Elternteilen aufgenommen wird, die nicht seine biologischen Eltern sind. Da hängt ein ganzer Rattenschwanz an juristischen und bürokratischen Vorgängen dran.
Wie gesagt: Dass es im Alten Rom (und auch schon davor) so etwas wie Adoptionen gab, das ist gar nicht mal so überraschend. Sie werden sogar ziemlich häufig in der Literatur (speziell der Geschichtsschreibung) erwähnt. Und das wiederum ist dann doch etwas auffällig.
Berühmte Beispiele sind zum Beispiel Augustus, der von Caesar adoptiert wurde. Oder Nero, der von Claudius adoptiert wurde, nachdem seine Mutter diesen geheiratet hatte. Überhaupt das römische Kaiserhaus seit Augustus: Da wurde fröhlich rumadoptiert. So sehr, dass man einige römische Kaiser im zweiten Jahrhundert n. Chr. als „Adoptivkaiser“ bezeichnet.
Bei allen diesen Personen kann man wohl nicht davon ausgehen, dass es sich um vernachlässigte Kinder handelte, die ihre Eltern verloren hatten. Ganz im Gegenteil. Von so ziemlich allen adoptierten Kaisern wissen wir, dass sie aus der römischen Oberschicht stammten. Zudem waren sie in der Regel zum Zeitpunkt der Adoption meist auch schon längst erwachsen.
Man ahnt es schon: Es ging bei solchen Vorgängen um Macht. Für die Adoptierten eröffneten sich Möglichkeiten zum Aufstieg. Im Fall der Kaiser ging es darum, sich den Thron zu sichern, sobald der Adoptivvater gestorben war.
Für den jeweiligen Adoptivvater bot sich die Möglichkeit, einen fähigen Nachfolger zu auszuwählen, der das eigene Erbe sichern würde. Und das war übrigens schon vor der Kaiserzeit, also in der römischen Republik, so.
Auch da gab es schon die Möglichkeit zur Adoption. Da stand dann natürlich nicht die Erbfolge auf einem Thron im Vordergrund, sondern die Schaffung von Familienverbindungen. Das alles im Detail aufzurollen, würde aber in diesem Blogpost zu weit führen. Eigentlich will ich auf etwas anderes hinaus: Eigentlich ist unser moderner Begriff „Adoption“ nämlich ziemlich unpassend.
Das, was man im Lateinischen, zur Zeit der Republik und im Kaiserreich, als adoptio bezeichnetet, war der Wechsel eines (oft erwachsenen) Mannes in eine andere Familie und unter die Vormundschaft eines anderen Vaters.
Es ging dabei rein um Machtinteressen, gelegentlich auch um Geld. Denn dieser Wechsel war im Kern ein formalisierter Kaufvorgang. So ein bisschen wie ein Spielerwechsel im Fußball.
Es gab aber in Rom noch eine andere Form von „Adoption“. Die hieß aber gar nicht „Adoption“, sondern adrogatio, also „Adrogation“. Was ist das denn nun wieder?
Das ist schon eher das, was wir heute unter einer Adoption verstehen: Hier geht es um ein Kind, das keinen Vater mehr hat (aus Sicht des römischen Rechts war ausschlaggebend, inwiefern ein Kind unter der Herrschaft eines Vaters stand).
Aber auch hier wurden erwachsene Männer von einem Adoptivvater aufgenommen. In der Kaiserzeit konnten auch Frauen und Freigelassene adrogiert werden. Dieser Wechsel musste von der Volksversammlung legitimiert werden.
Das klingt auch wieder gewaltig nach Politik, und das ist es auch. Also doch nicht so ganz das, was wir uns heute unter einer Adoption vorstellen. Was war denn mit den ganz einfachen Leuten? Dem Schuster, dessen Nachbar starb und der den Sohn oder die Tochter seines Nachbarn zu sich nahm? Oder den Eltern eines Händlers, die nach einem schweren Schicksalsschlag ihre Enkel aufzogen?
Solche Fälle waren für das römische Recht schlicht und ergreifend irrelevant. Für die „normalen“ Leute gab es in der Regel keinen formal-juristischen Prozess, der so etwas regelte. Der Schuster nahm einfach die Waisen bei sich auf, und die Großeltern ihre Enkel.
Auch Findelkinder wurden einfach von irgendwem mitgenommen und aufgezogen. Manchmal auch einfach als günstige Arbeitskräfte. Ein Jugendamt, das in solchen Fällen erst mal einen genauen Blick auf die Verhältnisse warf, gab es natürlich auch noch nicht.
Das zeigt einen wichtigen Punkt: Das römische Recht regelte in vielen Fällen vor allem das Zusammenleben der Oberschicht. Was der „gemeine Pöbel“ so trieb, das war in vielen Fällen weniger wichtig. Erst wenn Geld und Macht ins Spiel kamen, wurde es interessant.
Das hat aber auch eine gewisse Logik: Wenn ein Sohn einer politisch einflussreichen Familie in eine andere wechselte, dann lag das ja nun mal durchaus im öffentlichen Interesse. Da verschoben sich Machtverhältnisse im Staat, mal mehr, mal weniger gravierend.
Aber wenn ein Schuster die Kinder seines Nachbarn adoptierte, dann hatte das auf den Staat eher kaum Auswirkungen. Dass man das Kindeswohl in irgendeiner Weise dabei berücksichtigte, wäre für die antike römische Gesellschaft ein revolutionärer Gedanke gewesen.
Also wieder so eine Sache, wo uns die römische Gesellschaft absolut fremd erscheint. Diese Auffassung steht im absoluten Gegensatz dazu, wie wir heute auf Adoptionen blicken. Für uns geht es in allererster Linie um das Kind, das es gut haben soll.
Und auf die Idee, durch so etwas Machtpolitik zu betreiben, ist hierzulande auch lange niemand mehr gekommen. Und das ist sicher gut so.

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