Bier in der Antike

Okay, wir haben uns hier jetzt schon über alle möglichen Grundnahrungsmittel in der Antike unterhalten. Über Brot zum Beispiel, über Oliven und über Wein. Und dass man in Rom die Becher ordentlich mit Wein füllte, ist ja bekannt. Kommt in jedem Historienfilm vor. Diese verweichlichten römischen Waschlappen. Bestimmt hatten die auch „Zu Vino sag ich nie no“ in ihrem Tinder-Profil stehen. Echte Männer trinken natürlich Bier. Vor allem natürlich echte Germanen und echte Gallier. Kennt man ja aus Asterix.

Wie so oft in der Geschichte ist das richtig und falsch zugleich. (Außer das mit den Tinder-Profilen, das ist definitiv falsch.) Bier wurde im gesamten Imperium Romanum von Britannien bis nach Äthiopien getrunken, von Hispanien bis nach Skythien. Auch richtig ist, dass die Römer es nicht besonders geschätzt haben und vermutlich jeden billigen Wein gegenüber so einer fauligen Gerstenpampe bevorzugt hätten. Und jetzt ganz stark sein: Die Germanen haben zwar Bier getrunken. Dessen Erfinder sind sie aber wohl nicht. Das älteste bekannte Bier kam aus einer ganz anderen Ecke.

20 Sorten babylonisches Bier

Das älteste Bier, von dem wir wissen, stammt aus Mesopotamien. Es wurde vor etwa 12.000 bis 10.000 Jahren gebraut. Also ja, Bier hat eine durchaus lange Tradition. Ausgrabungen zeigen, dass Bier in Mesopotamien und Ägypten seit mind. 3500 v. Chr. ein Massenprodukt war. Etwas besser zu fassen ist es für uns mit dem Einsetzen der Schriftlichkeit in ebendiesen Gebieten. Denn damit lässt sich nicht nur nachweisen, dass es Bier gab, sondern auch wer es wann zu welchem Anlass und in welchen Mengen getrunken hat. Und welchen Stellenwert es hatte. Bereits im vermutlich ältesten Literaturwerk der Menschheit, dem Gilgamesch-Epos, erklärt die weise Hure, dass es ein Kennzeichen des Menschen sei, dass er Brot esse und Bier trinke.1

Quittung über Bier
Sumerische Quittung über den Erhalt von Bier von einem Brauer namens Alulu, geschrieben von einem Schreiber namens Ur-Amma, um 2050 v. Chr., gemeinfrei

In Babylonien waren bereits zwanzig Sorten bekannt. Gebraut wurden sie teilweise aus Emmer, teilweise aus Gerste und teilweise waren es „Mischbiere“ aus beiden Getreidesorten. Natürlich waren sowohl die Staaten im Vorderen Orient als auch Ägypten schon gut durchorganisierte Königreiche mit einer gut ausgebauten Bürokratie. 

So verwundert es auch nicht, dass der Codex Hammurabi um das Jahr 1700 v. Chr. in Babylonien bereits auch Gesetze zum Bier kannte. Wer minderwertiges Bier ausschenkte, dafür aber den vollen Preis verlangte, wurde übrigens ertränkt.2 Bierpanscherinnen (ja, in der Quelle ist das ein Femininum) waren auch damals schon nicht besonders beliebt. Auch wenn in einer Kneipe aufgrund des Bierkonsums eine Verschwörung zu entstehen droht, muss die Wirtin die potentiellen Verschwörer ausliefern. Sonst kann sie ebenfalls hingerichtet werden.3 So lassen sich ausufernde Stammtischdiskussionen natürlich auch verhindern.

Wenn man halt keinen Wein hat…

In Ägypten war Bier schon ähnlich lange bekannt. Es ist außerdem auch gut dokumentiert, da es sich tatsächlich um ein Grundnahrungsmittel handelte. Das ägyptische Bier hieß henqet, die Griechen nannten es zykthos (ζῦκθος).

Weinlese im Grab des Nacht
Weinlese und Vogeljagd im Grab des Nacht, Neues Reich, 15. Jahrhundert v. Chr., gemeinfrei

Herodot beschreibt das ägyptische Bier für seine griechischen Landsleute als einen Wein, der aus Gerste zubereitet wird.4 Gerste war in Ägypten die am weitesten verbreitete Getreideart, die zur Bierherstellung verwendet wurde. Es gab aber auch schon Weizenbiere. Herodot behauptete, dass die Ägypter eben Bier trinken würden, weil bei ihnen kein Wein wüchse. Das ist falsch. In den Oasen abseits des Nils fanden sich in Ägypten durchaus passende Bedingungen, um Wein anzubauen, z. B. in Bahariya. Er musste dann nur erst von den Oasen mehrere hundert Kilometer durch die Wüste an den Nil transportiert werden und war dementsprechend teuer. Oder er wurde aus dem Ausland importiert, was ihn aber auch nicht billiger machte. Bier dagegen war günstig und weit verbreitet.

Bauern, Bauarbeiter, Beamte, Könige – alle tranken Bier. In Ägypten gab es bis in die griechische Zeit keine Geldwirtschaft. Man betrieb jahrtausendelang erfolgreich eine Tauschwirtschaft. Dabei war auch Bier ein Zahlungsmittel. Die Erbauer der Pyramiden wurden ebenso in Brot und Bier bezahlt wie Soldaten und Offiziere. Auch Königen, Königinnen und anderen hohen Funktionsträgern im Staat stand jeden Tag eine feste Menge Bier zu. 

Der Bau der Pyramiden war auch ein große Verwaltungs- und Logistikaufgabe. Dementsprechend sind viele Sachen genau dokumentiert, z. B. dass die Arbeiter dort täglich zwei Krüge Bier und drei bis vier Brote erhielten. Dass die Arbeiter auf der Baustelle nicht ständig volltrunken waren und die Steine der Pyramiden trotz des hohen Bierkonsums mit erstaunlicher Präzision aufgeschichtet sind, dürfte daran liegen, dass das ägyptische Bier deutlich weniger Alkohol enthielt. 

Erstmal Brot backen

Ägyptische Brauerin
Ägyptische Brauerin, Altes Reich (5. – 6. Dynastie), Darstellungen von Brauerinnen finden sich in Ägypten sehr viel häufiger als die von Brauern. Es war wohl überwiegend eine Frauentätigkeit. (Statue heute im Museo Archeologico Nazionale in Florenz, Foto: CC BY-SA 3.0)

Aber nicht nur im Alkoholgehalt unterschied sich das ägyptische Bier von modernem, sondern auch im Herstellungsprozess. Denn zunächst wurde Gerste oder ein anderes Getreide gemahlen. Auch Weizen oder Emmer kamen in Betracht. In Äthiopien auch die dort sehr verbreitete Hirse.5 Aus dem Mehl wurden Brote halbfertig gebacken. Diese wurden dann in einem Tongefäß mit Wasser übergossen. Danach musste man nur noch warten, bis es zu gären begann.6

Die so entstandene Maische wurde noch gewürzt. Das Reinheitsgebot war allerdings noch nicht erfunden und so fanden sich in ägyptischen Bieren auch für uns eher ungewöhnliche Zutaten wie Datteln oder Honig, um das Bier süß und fruchtig zu machen. (Herodots Beschreibung als „Wein aus Gerste“ hat schon seine Berechtigung.) Wenn es lieber etwas bitter sein sollte, verwendete man Saflorsamen, also die Samen der Färberdistel. 

Am Ende schwammen im Bier aber wohl noch relativ viele Maischepartikel, sprich Stückchen, die man eigentlich nicht darin haben wollte. Daher wurde das Bier vor dem Ausschenken noch einmal gesiebt und man trank es auch durch einen Trinkhalm. Dieses Bier trank so ziemlich das ganze Land, wobei bereits bekannt war, dass Kranke und Schwangere besser darauf verzichten sollten.

Die Griechen und das ägyptische Bier

Als Ägypten im 4. Jahrhundert v. Chr. griechisch wurde, waren die neuen Herrn allerdings nicht so begeistert vom ägyptischen Alltagsgetränk. Sie blieben doch lieber beim Wein, der in einer stärker vernetzten Welt rund um das Mittelmeer nun auch leichter zu bekommen war. So setzte sich neben Bier auch Wein in Ägypten durch. In griechischer Zeit tranken in Ägypten nur noch ärmere Leute Bier, die sich keinen Wein leisten konnten.7.

Trotzdem blieb Bier verbreitet und die griechischen Könige Ägyptens fanden doch noch einen guten Weg, sich mit dem Bier zu arrangieren. Sie erhoben einfach eine Getränkesteuer auf Bier. Angeblich waren die Griechen geschockt von dem im ganzen Land verbreiteten Alkoholismus und erhoben die Steuer nur, um dem Einhalt zu gebieten. Letzten Endes war es aber auch eine sehr solide Einnahmequelle.

Die herrschenden Griechen argumentierten hier also vor über 2000 Jahren schon so wie auch der deutsche Staat heute zum Beispiel bei der Tabaksteuer argumentiert. Auch damit will er ja nur die Gesundheit der Bürger*innen retten. Dass dieses Lebenretten zufällig auch viel Geld in die Haushaltskasse spült, ist nur ein Nebeneffekt und bestimmt nicht der Grund für diese Abgabe.

Im rauen Norden

Aber nicht nur im Süden der antiken Welt gab es Bier. Bekannt ist, dass auch in Pannonien (Teile des heutigen Ungarn, Österreichs, Sloweniens und Kroatiens) Gersten- und Weizenbiere hergestellt wurden. Auch dort war Bier das Getränk der einfachen Leute, das sich jede*r leisten konnte.8 

Die Germanen haben auch Bier gebraut. Natürlich möchte man fast sagen. Nur in den Grenzregionen zum Römischen Reich gab es auch importierten Wein.[Tacitus, Germania 23] Im Zusammenhang mit den anderen Speisen, die Tacitus bei den Germanen nennt (Wild, Käse, wildes Obst) dürfte auch das Bier hier dazu dienen, die Germanen als weniger weit entwickelt als die römische Zivilisation zu präsentieren. Kultivierte Völker (wie die Römer) haben nicht nur eine ausgefeilte Landwirtschaft, sondern bauen natürlich Wein an. Nun ist Tacitus selbst ein ziemlicher Kulturpessimist, der Rom aufgrund seiner Luxusgüter und dem daraus resultierenden Verfall der Sitten dem Niedergang geweiht sieht. Man kennt das aus modernen Debatten: Jeans, die Pille oder Smartphones. Bei jedem Fortschritt gab es in den letzten Jahrzehnten immer Stimmen, die uns dem Untergang geweiht sahen. 

So ähnlich argumentiert auch Tacitus. Den Römern gehe es zu gut und das sorge für Sittenverfall. Seine Zeitgenoss*innen sollten mal lieber einen Blick nach Germanien werfen. Dort gebe es keinerlei Luxus und deshalb seien alle moralisch noch gesund. Die Germanen dienen hier als Projektionsfläche für die „edlen Wilden“. Aber nichtsdestotrotz sind sie bei Tacitus eben „Wilde“, die Bier trinken. Zivilisierte Menschen trinken Wein, auch wenn der sie vernichten wird.

Wie man Bier ohne Kühlschrank kühlt

Etwas weniger ideologisch aufgeladen dürfte der Bericht von Biertrinker*innen im antiken Armenien sein.9 Dort wurde das sehr starke Bier in großen Tontöpfen gelagert, die sich in unterirdischen Wohnungen befunden haben sollen und dort halb eingegraben wurden. Auch dort hat man das Bier durch einen Halm getrunken – und zwar direkt aus dem Topf. Falls also mal jemand erforschen möchte, wo das Eimersaufen eigentlich seinen Anfang genommen hat, würde ich Armenien empfehlen. 

Dass das Bier unter der Erde gelagert wurde, ist übrigens ein weiterer interessanter Aspekt. Das antike Armenien umfasste neben dem heutigen Armenien, Georgien und Aserbaidschan auch die nordöstlichen Gebiete der heutigen Türkei und Teile des Irans. In der gesamten Region wird es im Sommer sehr warm. Wenn man ein Tongefäß halb im Sand eingräbt und es mit Flüssigkeit füllt, bleibt die Flüssigkeit kalt, egal wie hoch die Außentemperatur ist. Wirklich, das funktioniert. Ihr könnt damit auch in der tiefsten Wüste eure Getränke kühlen. Das scheint auch schon in Armenien der Fall gewesen zu sein. Niemand mag schließlich warmes Bier.

Und im Römischen Reich?

Armenien, Pannonien und Germanien waren aus der Sicht der Römer natürlich irgendwelche Randgebiete. Bei den Römern war Bier nicht besonders geschätzt. Tacitus hielt es, wie gesagt, für ein Getränk der Barbaren10 und Plinius der Ältere wollte sich in seiner Naturalis Historia gar nicht groß mit Bier aufhalten und lieber direkt über Wein sprechen.11 Bier war ihm einfach nicht der Rede wert. Auch der in Rom tätige Arzt Dioskurides wies lediglich darauf hin, dass Bier Kopfschmerzen verursache und den Nerven schade.12

Die einzige Gemeinschaft in Italien, von der bekannt ist, dass sie Bier hergestellt und getrunken hat, sind die Ligurer in Norditalien. Diese dürften aufgrund der räumlichen Nähe für keltische Einflüsse empfänglich gewesen sein. Die vielen verschiedenen keltischen Völker in Gallien und Hispanien sollen dagegen richtige Bier-Experten gewesen sein. 

Gerste, Honig und was sonst noch Spaß macht

In Gallien und Hispanien wurden verschiedene Biersorten getrunken, von denen eine auf Latein curma genannt wird, die andere cervesia/cervisia. Die Cervisia ist vielleicht aus Asterix bekannt. Sie ist auch die Grundlage für das heutige spanische Wort cerveza. Dabei ist über sie kaum etwas bekannt, nicht einmal aus welchem Getreide sie hergestellt wurde.

Über die curma wissen wir etwas mehr. Sie war ein keltisches Gerstenbier und sie war günstig. Das einfache Volk trank dieses Bier einfach so, die etwas wohlhabendere Bevölkerung trank es versetzt mit Honig. Die gallische Oberschicht trank dagegen schon sehr früh überwiegend Wein, der aus der Gegend um die von Griechen gegründeten Stadt Marseille angebaut wurde.

Falls ihr eben schon schockiert wart, weil die Ägypter ihr Bier mit Honig und Datteln getrunken haben: ja ihr habt richtig gelesen, auch die keltischen Völker tranken ihr Bier mit Honig. Und auch ansonsten waren sie nicht die Erfinder des Reinheisgebotes: Es gab auch Bier mit Eichenrinde, Myrte, Gagel und Johanniskraut. Darüber hinaus auch mit Stechapfel und Bilsenkraut. Die letzten beiden wirken psychoaktiv und können Halluzinationen hervorrufen. So etwas Langweiliges wie Hopfen wurde übrigens erst seit dem Frühmittelalter als Zutat verwendet. 

alemannische Feldflasche
In Trossingen gefundene alemannische Feldflasche aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. Sie enthält Hopfenrückstände. Die Flasche befindet sich heute im Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg. (Foto: Manuela Schreiner, CC BY-SA 4.0)

Die keltischen Stämme waren aber nicht nur besonders bewandert in speziellen Zutaten für ihr Bier, sondern sollen in Hispanien auch Verfahren erfunden haben, mit denen man Bier deutlich besser haltbar machen und lagern konnte.13

In der gesamten antiken Welt bekannt

Bier war also in der gesamten antiken Welt bekannt. Dass es so verbreitet war, dürfte vor allem an seinem günstigen Preis gelegen haben. Im Jahr 301 erließ Kaiser Diokletian ein Preisedikt, da im gesamten Imperium eine gravierende Inflation herrschte. Mit diesem Edikt legte der Kaiser Höchstpreise für bestimmte Produkte und Leistungen des Alltags fest. Auch Bier taucht darin auf und ist verglichen mit Wein sehr günstig.14 Gerade im Römischen Reich stand es hinsichtlich des Prestiges immer im Schatten des Weines, der nicht nur teurer, sondern auch angesehener war. Dafür blieb Wein aber auch ein Phänomen der unmittelbaren Mittelmeerstaaten, während Bier wirklich überall hergestellt wurde.

Vermutlich ist das bis heute so geblieben. Noch immer sehen wir Bier als das Getränk von Fußballfans, Oktoberfest, Karneval, Malle-Tourismus und Schützenfesten an. Wein dagegen trinkt man zum guten Essen, bei feierlichen oder intellektuellen Anlässen und sogar in der Kirche. 

Ich persönlich verstehe diesen Prestige-Unterschied bis heute nicht. Wenn man von Wein kotzt, ist das genauso unangenehm wie bei Bier.

  1. Gilgamesch-Epos, Tafel 2, Verse 40-51
  2. Codex Hamumurabi, § 108
  3. Codex Hamumurabi, § 109
  4. Herodot, Historien II 77
  5. Strabon, Geographika XVII, 821
  6. Ulpian, Digesten 33,6,9
  7. Strabon Geographika XVII, 799
  8. Cassius Dio XLIX 36
  9. Xenophon, Anabasis IV 5, 26f.
  10. Tacitus, Germania 23
  11. Plinius d. Ä. Naturalis Historia XXII 164
  12. Dioskurides II,110
  13. Plinius Naturalis Historia XIV 149
  14. Preisedikt Diokletians II 11

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