Der „ferne Osten“ in der Antike

Wer an antike Hochkulturen denkt, wird sicher nicht nur an Griechenland und Rom denken, sondern vielleicht auch an Indien und China. Immerhin haben wir es hier auch zumindest teilweise mit dem gleichen Zeitraum zu tun. Daher kann man sich schon mal fragen, was die Menschen in Griechenland und Rom eigentlich so wussten über den aus ihrer Perspektive „fernen Osten“. Und natürlich auch umgekehrt.

Hier gibt es mehr Anknüpfungspunkte als man zunächst glauben könnte. Denn die Griech*innen kannten Indien spätestens seit Alexander und es war ihnen auch bekannt, dass die Welt dahinter immer noch nicht zu Ende war. Dass es dort noch ein riesiges Kaiserreich gab. 

Und auch über die Menschen, die dort lebten, gab es auch griechisch-römischer Sicht einiges Erzählenswertes: teilweise seltsame Legenden von dreißig Zentimeter großen Menschen ohne Nasen und teilweise sehr fundierte Kenntnisse über den Buddhismus. Wie das zusammen geht, darauf werfen wir heute einen Blick.

550 v. Chr.: 3 Kontinente, alle gleich groß 

Wer uns schon etwas länger verfolgt, wird bestimmt vermuten, dass jetzt wieder irgendwas mit diesem Herodot kommt. Und genau so ist es. Wir schauen uns zunächst einmal an, wie die Welt aus der Sicht der Griech*innen um 550 v. Chr. so aussah. Vor Herodot ging man von drei Kontinenten auf der Erde aus, die alle etwa gleich groß gewesen sein sollen. Die Rekonstruktion der Weltkarte des Geographen Hekataios von Milet gibt einen ganz guten Eindruck davon. 

Rekonstruktion der Weltkarte des Hekataios von Milet mit der bekannten Welt der Griech*innen um 550 v. Chr.
Rekonstruktion der Weltkarte des Hekataios von Milet mit der bekannten Welt der Griech*innen um 550 v. Chr. (gemeinfrei)

Herodot, etwa eine Generation später, wusste immerhin schon, dass das nicht stimmen konnte. Zu seiner Zeit war bereits bekannt, dass das Kaspische Meer ein Binnenmeer ist und dass Asien wesentlich größer ist als Europa. Herodot wusste auch bereits, dass östlich von Indien, d. h. östlich des Ganges, noch Land war. Er ging allerdings davon aus, dass diese Gegend wüst und unbewohnt sei.1

Krieg und Wissenschaft

Dieses Bild von Asien änderte sich erst mit den Eroberungszügen Alexanders des Großen ab 334 v. Chr. gegen das Perserreich, den größten Flächenstaat der Welt. Nachdem Alexander die griechischen Städte in Kleinasien unter seine Herrschaft gebracht hatte, dem Perserkönig Dareios bei Issos eine verheerende Niederlage zugefügt, Ägypten besetzt und mit Ekbatana die Hauptstadt des Perserreichs übernommen hatte, setzte er seinen Feldzug trotzdem noch in die entlegenen Gebiete des Riesenreichs fort. So kam er nach Sogdien (heutiges Afghanistan, Turkmenistan und Usbekistan), das noch Teil des Perserreichs war. Von dort beschloss er dann einen Indienfeldzug, zu dem keine militärische Notwendigkeit mehr bestand, da Indien nicht mehr persisch war.

Zu diesem Zeitpunkt war das Heer schon acht Jahre unterwegs und Alexanders griechisch-makedonische Soldaten hatten mittlerweile genug von Monsun, Hochwasser und Hitze. Sie wollten einfach nur nach Hause. Bei der geplanten Überquerung des Hyphasis (heute Beas in Nordwest-Indien) weigerten sich die Soldaten schließlich, bis zum Ganges weiterzuziehen und Alexander musste umkehren.     

Alexander und seine Soldaten waren die ersten Europäer, die sich ein genaueres Bild von Indien machen konnten. Sie kamen zwar definitiv nicht in friedlicher Absicht, haben aber zur Geographie und zur Wissenschaft in der griechisch-römischen Welt einiges beigetragen.

Denn die Marschrouten des Heeres wurden vermessen und die Griechen bekamen das erste Mal einen Eindruck davon, wie riesig Asien in Wirklichkeit war. Außerdem schickte Alexander seine Generäle auf Erkundungsfahrten, die in Erfahrung bringen sollten, welche Städte und Menschen es noch so auf der Welt gab. Das führte dazu, dass im 3. Jahrhundert v. Chr. (also einige Zeit nach Alexanders Tod) erstmals ein Koordinatensystem aus Längen- und Breitengraden entwickelt wurde, mit dem eine halbwegs zuverlässige Kartierung der bekannten Welt möglich war. Dieses System war auch maßgeblich dafür verantwortlich, dass schon im 3. Jahrhundert v. Chr. der Erdumfang berechnet werden konnte.

Die Feldzüge Alexanders gegen das Perserreich, das sich von Kleinasien über Ägypten bis nach Indien erstreckte.
Die Feldzüge Alexanders gegen das Perserreich, das sich von Kleinasien über Ägypten bis nach Indien erstreckte. (Karte: Generic Map Tools, CC BY-SA 3.0)

Die Griechen gegen die Armee der Affen

Trotz allem Fortschritt im Bereich der Geographie blieb es im Bereich der Ethnologie doch eher dunkel. Alexanders Generäle berichteten von allem Möglichen, an dessen Glaubwürdigkeit man aus heutiger Perspektive wohl Zweifel hätte: 

In Indien lebten angeblich Einhörner und andere Fabelwesen, es gebe dort Menschen, die nur etwa 30 Zentimeter groß seien und Kraniche bekämpften, Menschen, die schneller liefen als Pferde, Menschen, bei denen die Fußsohlen in die falsche Richtung gedreht seien, Menschen, die in ihren Riesenohren schlafen könnten usw. 2 Außerdem habe sich Megasthenes, einem der Generäle Alexanders, bei seiner Erkundung Indiens eine Armee von kleinen Äffchen in den Weg gestellt, die nicht so putzig und niedlich war, wie die Griechen es von kleinen Äffchen gewohnt waren.3 

Indien blieb ein halb sagenhaftes Land und was die Griechen bei ihrer Rückkehr davon zu berichten wussten, klang spannend, exotisch und war unterhaltsam, vermutlich aber bestenfalls im Kern wahr, wie die Geschichte von gut fünfzig Meter hohem Schilf. Dabei handelt es sich möglicherweise um die erste Begegnung der Griechen mit Bambus, der zwar auch nicht fünfzig Meter hoch wird, aber deutlich höher als alles, was in Europa an Schilf wächst.2

Indische Philosophie in Griechenland

Auch wenn Alexander leider keinen Menschen ohne Nase oder mit Elefantenohren mit zurück nach Griechenland brachte, schlossen sich ihm aber wenigstens einige indische Philosophen an. Uns erscheinen die Griechen heute oft wie die Erfinder der Philosophie. Aber bereits die Griechen wussten, dass sie es nicht waren. Kulturen, die zur Zeit Alexanders schon als unglaublich alt galten, waren die ägyptische und die jüdische. Als älteste Kultur der Welt galt im Hellenismus aber Indien.

Und weil in der Antike alte Ideen oft eine gewisse Autorität hatten und „Das war schon immer so!“ tatsächlich ein sehr gutes Argument war, mussten die Inder*innen ja die weisesten von allen Menschen sein. Indien galt als Geburtsland der Philosophie. Alexander war also sehr darauf bedacht, sich mit indischen Philosophen zu umgeben. 

Der Tod ist weder das Ende noch ein Übel

Von mindestens einem, nämlich Kalanos, wissen wir auch, dass er ihn zurück nach Griechenland begleitete oder zumindest begleiten wollte. Denn auf dem Rückweg erkrankte er und war spätestens im persischen Susa so krank, dass er wusste, dass er sterben würde. Vor den Augen der griechisch-makedonischen Soldaten verbrannte er sich daher selbst, um zu zeigen, dass man den Tod nicht fürchten müsse.5  

Indischer Acharya
Indischer Acharya, die von den Griechen Gymnosophisten („nackte Weise“) genannt wurden. (Foto: Jaina, CC BY-SA 4.0)

Die Todesverachtung der indischen Philosophen beeindruckte die Menschen in Griechenland und Rom auch später noch tief. Die Inder glaubten an eine Wiedergeburt oder eine Erlösung von der Wiedergeburt. In so einem Fall ist der Tod tatsächlich kein Übel. In der griechisch-römischen Welt hatte man vom Leben nach dem Tod aber nicht viel zu erwarten. Es beschränkte sich auf ein ziemlich tristes Dasein als Schatten in der Unterwelt. Trotzdem predigten alle griechischen Philosophenschulen, dass man den Tod nicht fürchten müsse, da Furcht an sich als Emotion schon verachtenswert sei. Der Weise lässt sich nicht von Furcht leiten. Eine Idee, die sie möglicherweise aus Indien hatten.

Nach dem Vorbild Alexanders ist auch von mehreren römischen Kaisern bekannt, dass sie Gesandtschaften aus Indien empfangen haben.6 Zum einen sicherlich aus Interesse an ihrer Lebensweise, zum anderen aber sicher auch, um zu zeigen, dass wirklich die ganze Welt sich um Freundschaft mit dem römischen Volk bemühte.

Was römische Händler mit Mary Poppins gemeinsam haben…

Aber nicht alle hatten einfach nur ein großes Interesse an Philosophie. Geld war wie immer auch ein wichtiger Faktor. Und so ging es den Griechen und Römern auch viel um Handel mit Indien.

Das Problem war, dass Indien ziemlich weit weg war und Waren, die auf dem Landweg über die sogenannte Seidenstraße transportiert wurden, unfassbar teuer wurden, bis sie endlich im Mittelmeerraum ankamen.

Spätestens seit dem 1. Jahrhundert nach Christus war im Imperium Romanum aber bereits ein Seeweg nach Indien bekannt. Über den sind wir sehr gut informiert, weil Plinius ihn freundlicherweise sehr detailliert aufgeschrieben hat:7 Die Reiseroute beginnt im Sommer in Juliopolis in Anatolien, führt über Ägypten den Nil stromaufwärts nach Süden, auf dem Landweg durch die ägyptische Ostwüste bis zum Hafen in Berenike am Roten Meer und von dort über den Indischen Ozean zur indischen Südspitze oder Sri Lanka. Das ganze Unterfangen dauerte drei Monate. Wenn man Ende Juni aufbrach, erreicht man Indien also Ende September.

Das war aber noch nicht das größte Problem an der Reiseroute. Denn wenn man seine Geschäfte in Indien beendet hatte, konnte man in der Regel nicht einfach wieder auf das Schiff steigen und wieder zurück fahren. Denn gegen den Passatwind zurücksegeln, war einfach unmöglich. Die römischen Händler saßen also in Indien fest. Sie konnten wie Mary Poppins erst wieder weg, wenn der Wind sich drehte.

Perlen gegen Elfenbein

Das war im Winter der Fall. Wenn man Ende September in Indien ankam, konnte man frühestens Ende Dezember wieder zurücksegeln und musste spätestens Anfang Februar wieder Richtung Afrika aufbrechen. Die Rückreise dauerte dann ebenfalls wieder drei Monate, so dass man fast ein Jahr unterwegs war, um Waren in Indien einzukaufen bzw. zu verkaufen.

Warum haben römische Händler das Ganze also überhaupt auf sich genommen? Es war trotz allem extrem profitabel. Denn über einen solch weiten Weg kaufte und verkaufte man natürlich nur Luxusgüter. Die Römer importierten aus Indien Elfenbein, Gewürze und andere Luxusgegenstände, auf der anderen Seite verkauften sie in Indien Textilien, teure Weine, Perlen und Edelsteine. Laut Plinius konnte man bei einer erfolgreichen Indientour, d. h. einer, die nicht mit Schiffbruch endete, mit dem hundertfachen Gewinn auf seine Waren rechnen.7 

Arikamedu – Römisch wohnen in Indien

Wenn man also bei so einem Unterfangen schon mehrere Monate in Indien bleiben musste, müssen die Römer in der Zeit ja irgendwo gewohnt haben. Tatsächlich hat man in Arikamedu im Südosten Indiens Reste einer römischen Siedlung an einem Hafen gefunden. 

Backsteinmauer aus Arikamedu, Indien
Backsteinmauer aus Arikamedu, Indien (Foto: Ramsadeesh, CC BY-SA 3.0)

Die römischen Bauwerke dort sind allerdings unzureichend an die indischen Bedingungen angepasst. Die Wohnhäuser z. B. sind nicht wasserabweisend genug, um im Monsun zu bestehen und die Wasserleitung wird von dem Boden, auf dem sie steht, nicht getragen. Es wirkt so als hätten die Römer  versucht, ihre Infrastruktur dort zu etablieren, sind dabei aber gescheitert.

Zahlreiche Kleinfunde, wie römische Keramiken, Imbissstände für die Abfertigung ganzer Schiffscrews usw. zeigen aber, dass die Römer dort gelebt haben.

Kleine Raupen und nimmersatte Römer*innen

Indien und seine Luxusgüter waren den Römern aber noch nicht genug. Vielleicht das Luxusgut der Antike war Seide. In Griechenland und Rom kaufte man Seide in der Regel von den Parthern aus dem heutigen Iran. Die hatten natürlich wenig Interesse daran, den griechischen und römischen Händlern zu verraten, wo die Seide herkam.

Im Mittelmeerraum konnte man lediglich auf der Insel Kos Seide aus den Raupen des Pistazienspinners herstellen. Wenn man sich die Größe von Kos anschaut, kann man sich vorstellen, dass das kaum reichte, um den gesamten Bedarf im Mittelmeerraum zu decken. Außerdem war asiatische Seide feiner gesponnen. Sie hatte schlicht eine bessere Qualität.

Das führte dazu, dass asiatische Seide vor Entdeckung der oben beschriebenen Monsunschifffahrt im Mittelmeer so teuer war, dass sich niemand ein komplettes Gewand aus Seide hätte leisten können. Sehr reiche Menschen trugen Gewänder, in denen eine einzelne Stoffbahn aus Seide vernäht war. 

Die Möglichkeit den Indischen Ozean zu überqueren, änderte das ein bisschen. Asiatische Seide wurde schließlich etwas günstiger. Trotzdem war immer noch unbekannt, wo sie genau herkam.

König An-tun und seine sagenhaft reiche Gesandtschaft

Das änderte sich erst im 2. Jahrhundert nach Christus mit der ersten römischen Gesandtschaft beim chinesischen Kaiser in Luoyang während der späten Han-Dynastie. Und hier wird es nun spannend, weil uns die Quelle das Aufeinandertreffen aus chinesischer Sicht beschreibt.9

Der König An-tun habe eine Gesandtschaft zum Kaiser von China geschickt, da sie Handelsbeziehungen aufnehmen wollten. Bisher habe das Volk von An-tun immer mit den Parthern Seide gehandelt, sie seien aber nun daran interessiert, sie quasi direkt im Erzeugerland einzukaufen. Hierbei handele es sich um den ersten direkten Kontakt eines chinesischen Kaisers mit den Menschen aus dem äußersten Westen. 

Porträtbüste Marc Aurels, um 169 n. Chr.
Porträtbüste Marc Aurels, um 169 n. Chr. (Foto: Caroline Léna Becker, CC BY-SA 1.0)

Die Quelle erwähnt freundlicherweise auch, dass das Aufeinandertreffen im Jahr 166 n. Chr. stattfand. Dass die Geschichte wahr ist, lässt sich am Namen des „Königs“ dieser Gesandtschaft verifizieren. Denn im Jahr 166 war in Rom gerade Marc Aurel Kaiser, der mit vollem Namen Marcus Aurelius Antonius Augustus hieß. An-tun ist die chinesische Schreibung des Cognomens Antonius.

Die Chines*innen jedenfalls hatten gehört, dass diese Römer sehr reich sein sollen und tolle Dinge herstellen konnten. Umso enttäuschter waren sie, als die römischen  Händler ihnen nur Elfenbein, Rhinozeros-Horn und Schildpatt anboten. Davon hatten sie schließlich selber genug. Vermutlich wären die Chines*innen sehr viel mehr an europäischen Edelsteinen und römischem Buntglas interessiert gewesen. Die gab es nämlich in China nicht und waren in späterer Zeit ein beliebtes Luxusgut aus dem Westen.

Die Gesandtschaft, von der offen bleibt, ob sie wirklich vom römischen Kaiser losgeschickt wurde oder privatwirtschaftlich unterwegs war, war wahrscheinlich also nicht sehr erfolgreich. Trotzdem belegt sie, dass es in der Antike bereits Kontakte zwischen Rom und China gab.

Am Ende der Welt

Von einem Vordringen von Griechen und Römern in noch weiter östlich oder nördlich gelegene Gebiete ist nichts bekannt.

Trotz allem hatte sich das Bild der griechisch-römischen Welt von Asien über die Jahrhunderte deutlich erweitert. Zum einen geographisch, da spätestens seit Alexander wohl niemand mehr ernsthaft davon ausging, dass Europa und Asien auch nur annähernd gleich groß sein könnten. Zum anderen auch kulturell: Die Menschen des Mittelmeerraums lernten buddhistische Traditionen kennen und betrieben sogar Handel mit dem chinesischen Kaiserreich.

Erst im Mittelalter gerieten Indien und China wieder völlig aus dem Fokus und wurden so mehr und mehr wieder die sagenumwobenen Länder, die sie für die Griech*innen und Römer*innen zu Anfang auch gewesen waren.

  1. Herodot, Historien 4, 36-40
  2. Strabo 15,1,56f
  3. Strabo 15,1,29
  4. Strabo 15,1,56f
  5. Plutarch, Alexander 69,3
  6. Plinius, Naturalis Historia 6,24; Augustus, Res Gestae 31f.; Strabo 15,1,4
  7. Plinius, Naturalis Historia 6,102ff.
  8. Plinius, Naturalis Historia 6,102ff.
  9. Fan Ye, Hou-han-shu 88

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Kommentare

Eine Antwort zu „Der „ferne Osten“ in der Antike“

  1. […] Projektionsfläche für seltsame Vorstellungen von fremden Menschen war in der Antike definitiv Indien. Dort lebten angeblich Menschen, die nur 30 Zentimeter groß waren oder in ihren eigenen Ohren […]

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