Ein Debakel… Ja, was ist das eigentlich? Ein negatives Ereignis. Eine Art Niederlage, könnte man sagen. Man kann von einem Debakel sprechen, wenn sich jemand hohe Ziele steckt und krachend daran scheitert.
Die PKW-Maut war ein Debakel. Unsere Hauptstadt unterhält uns auch schon mal gerne mit diversen Debakeln (Stichwort Flughafen, Stichwort Wahl zum Abgeordnetenhaus). Der Untergang der Titanic war aber ebenfalls ein Debakel. Allerdings eins, das (unbeabsichtigt) auch relativ nah an einer der früheren Bedeutungen des Wortes dran ist.
Uff. Das wird anstrengend, denn die Entstehung des Begriffs „Debakel“ umfasst wieder einmal mehrere Stationen und einiges Um-die-Ecke-denken. Dass sich der Begriff relativ kompliziert entwickelt hat, liegt auch daran, dass er durch mehrere Sprachen gewandert ist. Wir werden also ein paar mal hin- und herspringen müssen. Und dazwischen müssen wir auch noch einen Missing Link finden. Es wird also etwas abenteuerlich.
Station 1: Latein
Im Kern geht „Debakel“ auf das lateinische Wort baculum zurück, was man vielleicht ganz dunkel aus dem Lateinunterricht noch in der Bedeutung „Stab“ kennt. Wie man nun von einem „Stab“ zu einem „Debakel“ kommen will, ist wirklich eine spannende Frage. Das Wort baculum bedeutet nämlich im klassischen Latein wirklich immer und ausschließlich „Stab“. In erster Linie ist damit eine Gehhilfe gemeint, ein Spazierstock oder eine Stütze. In zweiter Linie kann es sich dabei auch um ein Ehrenzeichen handeln, das die Autorität einer Person unterstreicht. Der markante Bischofsstab ist zum Beispiel nicht vom Himmel gefallen, sondern geht auf Vorgänger zurück, die schon in der (vorchristlichen) Antike von Priestern verwendet wurden.
Station 2: Französisch
Nun machen wir einen kleinen Zeitsprung. Im Französischen gibt es das Verb bâcler, was „versperren“ bedeutet. Es geht auf das altprovenzalische baclar zurück. Altprovenzalisch ist eine Vorläuferin der französischen Sprache, die sich im frühen Mittelalter aus dem Lateinischen entwickelte.
Zu bâcler „versperren“ gibt es auch ein Gegenstück: débâcler, was so viel wie „aufsperren“ heißt. Wir werden darauf zurückkommen.
Missing Link
Aber bevor wir da weitermachen, müssen wir erst noch eine Lücke schließen. Was war eigentlich zwischen Station 1 (Latein) und Station 2 (Altprovenzalisch)? Und vor allem: Was hat ein Stab (Latein) mit „versperren“ (Altprovenzalisch) zu tun?
Hier sind wir auf Vermutungen angewiesen. Ein altprovenzalisches Verb baclar geht höchstwahrscheinlich auf ein lateinisches Verb *bacculare zurück. Das Sternchen verrät, dass wir es hier mit einem rekonstruierten Wort zu tun haben. Es gibt nämlich keinen Beweis dafür, dass dieses Wort existiert hat. Es handelt sich um eine vermutete Wortform.
Und das hat etwas mit der Form von Latein zu tun, aus denen sich die späteren romanischen Sprachen (wie Französisch) entwickelten. Die haben sich nämlich nicht aus dem Latein entwickelt, das Cicero und Caesar schrieben, sondern aus dem sogenannten Vulgärlatein.
Vulgärlatein heißt aber nicht, dass diese Sprache nur aus üblen Schimpfwörtern und Fäkalsprache bestand. „Vulgär“ bedeutet hier einfach nur „Volkssprache“. Es war das Latein, das auf der Straße, am Abendbrottisch oder bei der Arbeit draußen auf dem Feld gesprochen wurde. Diese Sprache fand nur sehr selten Eingang in schriftliche Dokumente. Daher gibt es für viele Annahmen über das Vulgärlatein keine handfesten Beweise.
Das Wörtchen *bacculare müsste demnach so etwas wie „versperren“ bedeutet haben. Und es käme dann vom baculum – Stab. Das ergibt Sinn, wenn man sich vorstellt, dass man eine Tür oder ein Tor häufig mit einem Stab (oder Riegel) versperrte. Damit lässt sich unser Missing Link ziemlich gut erklären, sowohl sprachwissenschaftlich als auch inhaltlich.
Vom Eistreiben zum Untergang
Damit sind wir nun fast am Ende unserer Rundreise. Das französische Wort débâcler bedeutet „aufsperren“ und hat offenbar seinen Ursprung in einem lateinischen Wort, das sich auf das Herausziehen eines Stabes oder eines Riegels bezog, mit dem man Türen oder Tore sichern konnte.
Débâcler hat aber im Französischen noch eine sehr spezielle Bedeutung. Es bezeichnet auch das „Aufgehen“ von vereisten Gewässern. In vielen Fällen hat man sich das als ein Auseinanderbrechen von Eismassen vorzustellen. Wer schon mal Bilder von einem Gletscher gesehen hat, von dem große Eisbrocken abbrechen, kann nachvollziehen, wie es zu der Bedeutung „Zusammenbruch“ kommen konnte.
Dieses Naturschauspiel diente also als metaphorische Beschreibung eines katastrophalen Ereignisses und damit auch einer Niederlage. Ein Debakel ist also ein ganz schlimmes Ereignis. Im deutschsprachigen Raum wurde der Ausdruck dann vor allem durch den Roman La Débâcle (Der Zusammenbruch) vom Émile Zola Ende des 19. Jahrhunderts bekannt.
Für uns heute, die wir vermutlich alle den Film Titanic gesehen haben, ist aber sowieso der Zusammenhang zwischen frei treibendem Eis und einem katastrophalen Debakel ziemlich gut verständlich. Aber wie man von einem lateinischen Wort für „Stab“ zu so etwas kommt, das ist dann doch schon eine ziemlich schräge Geschichte.
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