Proletariat – Fremdwort der Woche

„Proletariat“ ist so ein Begriff, den wir heute irgendwie mit Karl Marx und der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert in Verbindung bringen. Aber der Kern des Begriffes ist älter, viel älter. Und nett war er noch nie.

Beim Proletariat des 19. Jahrhunderts, das Karl Marx beschrieb, hat man vermutlich gleich Bilder vor Augen: riesige, laute, gefährliche Fabrikhallen, in denen Menschen sieben Tage die Woche 16 Stunden lang arbeiten, miserable Armenviertel in den großen Städten, Armut, Alkoholmissbrauch und verwahrloste Kinder. Wer im 19. Jahrhundert zum Proletariat gehörte, war zwar (anders als leibeigene Bauern ein paar Generationen zuvor) ein freier Mensch, verfügte aber über keine konkurrenzfähigen Produktionsmittel, um sich selbst zu versorgen. Die Folge war eine massive Abhängigkeit von schlecht bezahlter Lohnarbeit mit all den oben beschriebenen Konsequenzen. Das Proletariat hatte wirklich nichts zu verlieren als seine Ketten. 

Der Begriff ist aber schon viel älter und stammt aus der römischen Republik. Dort wurden Männer regelmäßig in bestimmte Vermögensklassen eingeteilt: Wer mehr Geld hatte, hatte im Staat meistens das höhere Ansehen, was auch darauf beruhte, dass man sich im Kriegsfall eine entsprechende Ausrüstung leisten können musste – und militärische Ausbildung und Erfolg meistens das Sprungbrett in höhere politische Positionen waren. Die unterste Vermögensklasse umfasste die Bürger, die zwar frei waren (also keine Sklaven), aber über zu wenig Geld verfügten, um sich die Ausrüstung für den Kriegsdienst leisten zu können. Diese Männer wurden nicht zum Militär eingezogen. Wer in dieser untersten Vermögensklasse war, war ein  proletarius. 

Man musste zwar nicht in den Krieg ziehen, aber es war natürlich nicht besonders angesehen, für die Verteidigung des Staates schlicht zu arm zu sein und nicht daran mitwirken zu können. Das Proletariat, oft Tagelöhner, stand in der sozialen Hierarchie der freien Bürger ganz unten. Auch der Begriff proletarius ist kein Kompliment: Er leitet sich ab vom lateinischen Wort proles, was Nachkommenschaft bedeutet. Jemand, der zum Proletariat gehört, kann den Staat nur mit seiner Nachkommenschaft unterstützen, nicht aber mit seinem Vermögen, seinem militärischen Geschick oder seinem politischen Handeln. Denn der zweite und dritte Punkt setzten in der römischen Republik immer den ersten voraus. Ein Proletarier hat keinen Besitz, nur Kinder.

Dass kinderreiche Familien oft in den unteren Gesellschaftsschichten zu finden sind, ist etwas, das sich in Europa erst in den letzten Jahrzehnten langsam zu ändern begonnen hat und in anderen Teilen der Welt immer noch so ist. Und obwohl es in Deutschland längst nicht mehr immer der Fall ist, ist das Klischee von der asozialen Großfamilie, die ganz unten in der Hierarchie steht, geblieben, auch wenn heute zurecht niemand mehr vom Proletariat spricht.

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