Alexandria – Multikulti in der Antike?

Alexandria, gelegen im westlichen Nildelta, wo der Nil in das Mittelmeer fließt, war eine der bedeutendsten Städte der Antike. Und eine der größten. Etwa 500.000 Einwohner*innen sollen dort gelebt haben. Damit gehört Alexandria zu den größten vorindustriellen Städten, die jemals existiert haben. Aber nicht nur ihre Größe machte die Stadt so besonders, sondern auch das Nebeneinander von griechischen, ägyptischen, jüdischen, römischen und anderen kulturellen Einflüssen. Was können wir von den unterschiedlichen Kulturen in der Stadt heute noch nachvollziehen?

Wer schon einmal im modernen Alexandria im Nildelta war, wird feststellen, dass man heute in der Stadt starke muslimische und starke mediterrane Einflüsse feststellen kann. Was man im modernen Alexandria allerdings kaum findet, sind altägyptische Stätten. Ein paar gibt es zwar, aber der Großteil der antiken Stadt ist überbaut oder liegt aufgrund der heute anders verlaufenden Küstenlinie unter Wasser. Das führt dazu, dass wir von einigen der berühmtesten Sehenswürdigkeiten der Antike heute nicht mehr genau wissen, wo sie gestanden haben. Und Alexandria hatte so einiges zu bieten, zum Beispiel das Grab ihres Gründers Alexander des Großen.

Die Stadt Alexandria mag zwar an sich einzigartig gewesen sein. Wenn aber irgendetwas an ihr wirklich nichts Besonderes war, dann war es ihr Name. Alexander der Große hatte auf seinem Feldzug gegen das Perserreich (334 -323 v. Chr.), der ihn bis nach Indien führte, überall zahlreiche Städte gegründet. Allein 32 Städte zwischen der Türkei und Afghanistan hießen Alexandria. Keine seiner Gründungen war aber so bedeutend wie Alexandria in Ägypten. Wenn man ganz genau ist, müsste man allerdings sagen, Alexandria bei Ägypten (Alexandria ad Aegyptum). Hätte es in der Antike schon Memes gegeben, das wäre eines gewesen. Alexandria bei Ägypten, nicht in Ägypten.

In Ägypten, aber nicht so ganz

Das mag etwas merkwürdig klingen, wo die Stadt doch auf ägyptischem Boden liegt. Aber sie war die Gründung eines griechisch-makedonischen Königs, der Alexandria Autonomie verlieh. In Alexandria galt nicht zwingend das, was im Rest Ägyptens galt.

Die Stadt war also eine Gründung Alexanders des Großen, der im Jahr 331 v. Chr. persönlich an der Gestaltung der neuen Metropole beteiligt war. Verglichen mit anderen antiken Städten ist sie also relativ jung, auch wenn man berücksichtigen muss, dass Alexanders neue City an einem Ort gebaut wurde, an dem es vorher schon die vergleichsweise kleine Siedlung Raqedu gegeben hatte, die als Stadtteil Rhakotis in der neuen Stadt aufging.1

Alexander
Alexander der Große und sein Pferd Bukephaols auf einem Mosaik, um 100, heute im Museo Nazionale in Neapel (gemeinfrei)

Ägypten als Ganzes war mehr oder weniger kampflos an Alexander gefallen. Zuvor war das Land bereits von den Persern besetzt worden, die in Ägypten allerdings nicht besonders beliebt waren, da sie einheimische, ägyptische Traditionen nicht achteten. Alexander dagegen bereiste einige wichtige Kultstätten in Ägypten und wurde zum Pharao gekrönt. Anfang 331 v. Chr. begann er schließlich mit der Gründung der Stadt Alexandria auf einer Fläche von 186 Hektar. Damit war seine Projekt-Stadt größer als Athen. Alexander soll persönlich die wichtigsten Straßen, die Agora (den zentralen Platz der Stadt), den Verlauf der Mauern und die Anzahl der Tempel festgelegt haben, darunter auch einen für die ägyptische Göttin Isis.2

Lage, Lage, Lage

Die Lage Alexandrias war dabei von herausragender Bedeutung. Die Stadt stieg schnell zu einem der wichtigsten Handels- und Umschlagplätze der antiken Welt auf, weil dort mehrere Handelsrouten zusammenliefen: Einerseits der Afrika-Handel über den Nil und Karawanenstraßen, der Ägypten mit dem südlicheren Afrika verband, andererseits die Seewege über das Rote Meer, zum dritten Handelsstraßen aus dem Nahen Osten und schließlich der Handel mit der griechischen Welt, da aufgrund der recht weit westlichen Lage im Nildelta über Alexandria die kürzeste Verbindung nach Griechenland bestand.

Das machte die Stadt nicht nur reich, sondern auch attraktiv für Menschen aus der ganzen Welt, die dorthin kamen. Neben Ägypter*innen bezeugen Grabsteine, dass Menschen aus allen Teilen Griechenlands nach Alexandria kamen, aus Armenien und aus Thrakien.3 Schon vor der Gründung der Stadt lebten außerdem viele Menschen jüdischen Glaubens in Ägypten, die neue Stadt machte das Land am Nil aber zu einem noch attraktiveren Wohnort für Jüdinnen und Juden. Als Ägypten im Jahr 30 v. Chr. römische Provinz wurde, kamen nicht nur vermehrt Römer*innen nach Alexandria, sondern mit den Legionen auch Menschen aus allen Provinzen des Reichs – einige als Pilger*innen und Tourist*innen, manche blieben auch für immer.

In der Stadt konnte man anhand des Wohnortes schnell feststellen, wer zu welcher Gemeinschaft gehörte. Denn Alexandria war in fünf Bezirke unterteilt. Im Bezirk nördlichen Bezirk Alpha lag der Hafen mit dem berühmten Leuchtturm, im zentralen Bezirk Beta, auch Brucheum genannt, lag das griechische Viertel. Der südwestliche Teil Gamma („Rhakotis“) wurde hauptsächlich von Ägypter*innen bewohnt. Das jüdische Viertel befand sich im nordöstlichen Bezirk Delta. Im südöstlichen Bezirk lebten Fremde, sogenannte Metöken.

Das volle Bürgerrecht in der Stadt hatten aber ausschließlich Griechen. Nur sie konnten an politischen Entscheidungen mitwirken. Die jüdische Bevölkerung besaß eine eigenständige Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Dass damit nur Griechen direkt Einfluss auf die Geschicke der Stadt nehmen konnten, sorgte immer wieder für Spannungen zwischen ihnen und den Einheimischen.

Heilige Stätten

Daneben gab es aber auch zahlreiche Institutionen, die hauptsächlich von Alexanders direktem Nachfolger in Ägypten, König Ptolemaios I. Soter, ins Leben gerufen wurden, und die eine gemeinsame Identität schufen. Mindestens bis ins 4. Jahrhundert nach Christus konnten Menschen aller Kulturen das Grab ihres Stadtgründers Alexander mit dessen mumifizierter Leiche besichtigen.4 Das ist insofern bemerkenswert, dass Alexander nicht in Ägypten starb, sondern in Babylon. Trotzdem wurde sein Leichnam mumifiziert und in Alexandria beigesetzt. Auch die späteren makedonischen Könige Ägyptens ließen sich in unmittelbarer Nähe des Alexandergrabes bestatten, allerdings wurden sie verbrannt und in Urnen beigesetzt, was eher der griechischen als der ägyptischen Tradition entspricht.5

Alexanders Nachfolger Ptolemaios förderte aber nicht nur mit dem Herrscherkult das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen, sondern gründete auch das Serapeum, den Haupttempel der Stadt, in dem der Gott Serapis verehrt wurde.6

Serapis
Der Gott Serapis im griechischen Stil, heute im Museo Vaticano (Foto: Jastrow, gemeinfrei)

Dieser Gott ist nun wirklich etwas Besonderes, da er von den ptolemäischen Königen mehr oder weniger erst erschaffen wurde, um griechische und ägyptische Traditionen zu vereinen. Angelehnt ist der Gott an den ägyptischen Kult um Osiris-Apis, der zunächst stirbt und dann als Fruchtbarkeitsgott wieder aufersteht und im Apis-Stier weiterlebt. Der Kult übernahm aber auch viele griechische Elemente, die sich vor allem in der Darstellung des Gottes als bärtiger Mann, der stark Zeus ähnelt, widerspiegeln. Er besaß angeblich heilende Kräfte und ein eigenes Orakel und stieg zum Universalgott der makedonischen Herrscher in Ägypten auf mit einem riesigen Tempelkomplex in Alexandria. Allein die Kultstatue des Tempels soll zehn Meter hoch gewesen sein.

Ptolemaios I. und seine Nachfolger verbreiteten den neuen Kult in ganz Ägypten, um sowohl der ägyptischen Bevölkerung, die darin einen Osiriskult sah, als auch der griechischen Bevölkerung, die darin einen Zeuskult sah, eine Gottheit zur gemeinsamen Verehrung anbieten zu können.

Wissenschaft und Forschung

Unter Ptolemaios I. nahm daneben auch das Museion den Betrieb auf, eine den Musen geweihte Lehranstalt. Darin befand sich die berühmte Bibliothek von Alexandria und auch diese sorgte dafür, dass Alexandria eines der kulturellen Zentren der Welt wurde. Die makedonischen Könige der Stadt förderten Künstler und Intellektuelle. Zu den berühmten Persönlichkeiten der Bibliothek von Alexandria und ihrer Forschungsstätten gehören der Dichter Kallimachos, der Mathematiker Euklid, der Naturwissenschaftler und Geograph Eratosthenes sowie Philetas von Kos und Zonodotus von Ephesos, die eine erste Edition der Homer-Schriften Ilias und Odyssee bearbeiteten und zu den ersten Philologen gehörten. Die Förderung der Wissenschaft blieb aber nicht nur auf das griechische Wissen beschränkt. Auch ägyptische Wissenschaftler wurden gefördert, so zum Beispiel der ägyptische Priester Manetho, der um 250 v. Chr. auf Ägyptisch und Griechisch eine Geschichte des Landes am Nil verfasste und uns damit eine Königsliste und Chronologie Ägyptens bis in die graue Vorzeit überliefert hat. Auch jüdische Gelehrte arbeiteten in der Bibliothek und gaben mit der Septuaginta ebenfalls um 250 v. Chr. die erste vollständige Übersetzung des hebräischen Alten Testamentes ins Griechische heraus.

Ptolemaios II. und die Gelehrten der Septuaginta
König Ptolemaios II. Philadelphos mit den 72 Juden, die die heilige Schrift ins Griechische übersetzten. (Baptiste de Champaigne, 1672, gemeinfrei)

Mehrsprachigkeit war in der Stadt ohnehin ein allgegenwärtiges Phänomen. Neben der griechischen Elite bildete sich auch eine ägyptische Oberschicht heraus, die neben Ägyptisch auch Griechisch sprach und in vielen Fällen auch sowohl einen ägyptischen als auch einen griechischen Namen trug. Auch die verschiedenen Schriften existierten weiterhin nebeneinander. Es war kein Problem, dass Griechen ihre Verträge auf Griechisch abschlossen, Ägypter die demotische Schrift benutzten und Juden auf Hebräisch schrieben. Auch zweisprachige Vertragstexte zwischen Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen sind erhalten.

Stürmische Zeiten

So harmonisch wie sich das Ganze anhört, war es in Alexandria aber bei Weitem nicht. Die Aufnahme von Ägyptern im 4. Syrischen Krieg (Ende des 3. Jahrhunderts vor Christus) in das Heer war längst nicht bei allen Griechen gerne gesehen. Sie fürchteten die Konkurrenz, da über das Militär auch immer mehr Ägypter Posten in der königlichen Verwaltung bekamen. Viele Griechen fürchteten auch um ihre eigenen Karrierechancen.

Auch gewalttätige und blutige Auseinandersetzungen blieben in Alexandria nicht aus. Oft ging es dabei um eine Einmischung der alexandrinischen Bevölkerung und der griechischen Soldaten in politische Themen im Königshaus.7 Wer Ruhe und Frieden suchte, war in der Metropole definitiv falsch. Es kam auch zu Aufständen und Ausschreitungen, die Konflikte zwischen den Ethnien zur Ursache hatten. Bis ins 2. Jahrhundert nach Christus ging es dabei meistens um politische Mitsprache für Ägypter, die sich gegenüber der griechischen und jüdischen Bevölkerung benachteiligt sahen. 

Seitdem Alexandria ab dem 3. Jahrhundert nach Christus aber auch ein Zentrum des frühen Christentums geworden war, wurden zunehmend auch religiöse Konflikte zwischen Anhänger*innen der alten Kulte und denen des Christentums mit Gewalt ausgetragen. Ebenso wie dogmatische Streitigkeiten innerhalb der christlichen Gemeinde. In Ägypten lebten viele frühe Mönche. Anders als man das heute so erlebt, waren diese im frühen Christentum aber oft durchaus auch bereit, ihre Anschauung mit Gewalt durchzusetzen.

Das Ende der jüdischen Gemeinde

Spannungen vor allem zwischen Ägyptern und Juden hatte es auch vor der Zeitenwende immer mal wieder gegeben, weil sich die Ägypter benachteiligt sahen. Kein ethnischer Konflikt hatte aber ein solches Blutvergießen zur Folge wie der, der in Alexandria zwischen 115 und 117 nach Christus stattfand.

Das mittlerweile römische Alexandria war dabei gar nicht der Ausgangspunkt der Eskalation. Begonnen hatte alles in der westlich von Ägypten gelegenen Region um die Stadt Kyrene. Dort brach 115 ein Aufstand der jüdischen Bevölkerung aus. Der Anlass dafür ist heute unklar, er war aber wohl religiös motiviert. Aufständische Juden ermordeten in der Region wahllos Griechen und Römer, die sie in die Finger bekamen, zerstörten griechische Tempel und Symbole der römischen Herrschaft.

Daraufhin flohen viele Griechen und Römer nach Alexandria. Dort ermordeten diese nun viele der in der Stadt lebenden Juden. Der jüdische Aufstand weitete sich aber von Kyrene in Richtung Ägypten und Alexandria aus. Die aufständischen kyrenischen Juden griffen Alexandria an und überfielen die Stadt. Daraufhin schickte Kaiser Trajan eine (zusätzliche) Legion nach Nordafrika, die aber bis ins Jahr 117 brauchte, um die Kämpfe um Alexandria blutig niederzuschlagen.

In der Folge wurden tausende Juden in Alexandria Opfer der Rache der römischen, griechischen und ägyptischen Bevölkerung, die nun ihrerseits Jagd auf die jüdische Bevölkerung machten und die bekannte Synagoge von Alexandria zerstörten. Davon erholte sich die jüdische Gemeinde in Alexandria nie wieder. Seit 117 nach Christus gab es so gut wie keine Juden mehr in der Stadt.

Koexistenz statt Verschmelzung

Eine echte „Verschmelzung“ der griechischen, ägyptischen, jüdischen und anderer Kulturen hat es in Alexandria so nicht gegeben. Ehen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen kamen zwar vor, waren aber eher die Ausnahme.

Auch auf kultureller Ebene übernahmen viele Menschen zwar Praktiken aus anderen Kulturen. So waren viele Ägypter durchaus Fans von griechischen Symposien oder des Sportbetriebes rund um die Gymnasia. Ebenso konnten viele Griechen mit der altehrwürdigen Religion und dem damit verbundenem religiösen „Wissen“ Ägyptens durchaus viel anfangen. Es handelte sich allerdings eher um ein Geben und Nehmen von einzelnen Aspekten als dass Unterschiede völlig aufgehoben worden wären und eine eigene „alexandrinische“ Mischkultur entstanden wäre.

Nicht einmal der ägyptisch-griechische Fusionsgott Serapis trug zu einer Verschmelzung der Religionen bei, da die Ägypter in Serapis eine griechische Ausprägung von Osiris sahen und die Griechen ihn eben als eine ägyptische Ausprägung von Zeus verstanden. Eine komplette Verschmelzung der Kulturen war von den makedonischen Herrschern aber vermutlich auch weder angestrebt noch gewollt. Es gab in der Stadt Griechen, Ägypter, Juden und andere Fremde – und sie waren nicht alle gleich, auch nicht gleich an Rechten.

Trotzdem haben sich die Kulturen, die in der frühen Weltmetropole zusammenlebten stark beeinflusst und besonders auf dem Gebiet der Wissenschaft und Forschung großartige Leistungen hervorgebracht. Sie existierten nebeneinander, meistens friedlich, manchmal aber auch nicht so friedlich. Die größten Konflikte in der Stadt – und davon gab es einige – brachen aber nicht aufgrund der verschiedenen Kulturen aus, sondern hatten ihren Ursprung in der Regel in der Politik, wenn sich die alexandrinische Bevölkerung, oftmals über ethnische Grenzen hinweg, für oder gegen bestimmte Mitglieder der Königsfamilie aussprach und dafür auch Gewalt anwendete. Die Konflikte, die es zwischen den Kulturen gab, waren dagegen selten. Dass die alexandrinische Bevölkerung schon in der Antike als besonders aufsässig galt, hat mit ihrer Multikulturalität nur wenig zu tun.

  1. Eberhard Otto, s. v. Rhakotis, in Wolfgang Helck: Lexikon der Ägyptologie, Band I, Sp. 134.
  2. Diodor, 17,52
  3. Günter Grimm: Alexandria. Die erste Königsstadt der hellenistischen Welt. Mainz 1998, S. 98
  4. Libanios, Oratio 49, 12
  5. Sueton, Augustus 18,1
  6. Tacitus, Historien 4, 83.
  7. So zum Beispiel in den Jahren 204 v. Chr., 169, 145, 131, 116, 107, 88, 80, 59, 55 und 48

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert