Die Amazonen

Die anderen Frauen

Die Amazonen, ein reitendes, kriegerisches Volk von Frauen, sind bis heute in der Popkultur sehr beliebt und waren es auch in der Antike schon. Von Homer und griechischen Vasenbildern bis Marvel und zuletzt sogar Asterix taucht das mythische Frauengeschlecht immer wieder auf und wird auf immer neue Art und Weise interpretiert. Amazonen sind seit fast 3000 Jahren ein Trend der Kunst. 

Die Amazonen sind Teil der griechischen Mythenwelt, ohne dass es jedoch einen eigenen „Amazonenmythos“ gäbe. Trotzdem tauchen sie in ziemlich vielen Werken der antiken Literatur auf. Meistens sind sie interessante Nebencharaktere in größeren Werken, z. B. sollen sie im Trojanischen Krieg dem belagerten Troja zur Hilfe gekommen sein.1 Auch die beiden griechischen Heroen Herakles und Theseus bekamen es mit den Amazonen zu tun. Und in der Fassung der Argonautensage des Apollonius von Rhodos trauen es sich Iason und seine Mannschaft auf der Suche nach dem Goldenen Vlies nicht, an bestimmten Küstenabschnitten am Schwarzen Meer anzulegen, weil dort angeblich die Amazonen wohnen. 2

Auch Alexander der Große, und damit nun eine historische und nicht mehr nur mythologische Gestalt, soll friedlich gesinnten Besuch von der Amazonenkönigin Thalestris bekommen haben, als er sich während seines Feldzuges gegen das Perserreich am Kaspischen Meer aufhielt.3 Und zu guter letzt tauchen die Amazonen auch in Geschichtswerken auf, die allerdings nicht nur das Ziel haben, von der Geschichte einer Region zu berichten, sondern oft auch zum Verfassungszeitpunkt aktuelle Bräuche bei einzelnen Völkern schildern. Der wahrscheinlich bekannteste dieser Geschichtsschreiber, nämlich Herodot, berichtet ausführlich, dass die später so genannten Sarmat*innen am Schwarzen Meer von den Amazonen abstammen.4 Der Geograph Strabon, der einige Jahrhunderte später lebt, berichtet ebenfalls davon, dass die Amazonen am Schwarzen Meer in der heutigen Türkei gelebt hätten.5

Gab es die Amazonen?

Wenn Amazonen also nicht nur in der Mythologie, sondern auch in der Geschichtsschreibung auftauchen, kann man sich fragen, ob es sie denn wirklich gegeben hat. Und genau das wird sich auch seit Ewigkeiten gefragt. Deshalb hier ein kurzer Überblick dazu.

Wir haben keinerlei schriftliche Quellen über Amazonen außerhalb der Literatur. Es gibt also zum Beispiel keine Inschrift, in der stehen würde: „Wir haben in einer Schlacht gegen die Amazonen gekämpft und waren siegreich. Anzahl der getöteten Amazonen: X, Anzahl der gefangen genommenen Amazonen: Y.“ Solche Inschriften gibt es sowohl im griechischen als auch im assyrischen Raum, die ja die unmittelbaren Nachbar*innen der Amazonen gewesen sein müssten, über andere Völker aber sehr wohl. Ebensowenig gibt es Urkunden über Staatsbesuche, Handelsbeziehungen, Kriegszüge oder irgendetwas, in denen Amazonen erwähnt werden. Auch die gibt es natürlich von anderen Völkern haufenweise. Das macht es zumindest unwahrscheinlich, dass ein reines Frauenvolk mit dem Namen „Amazonen“ existiert hat.

Frauen am Schwarzen Meer in der Antike

Aber an der Stelle kann uns die Archäologie weiterhelfen. Historisch belegbar sind nämlich verschiedene nomadische Völker am Schwarzen Meer, die in Griechenland als Sarmat*innen oder als Skyth*innen bezeichnet wurden. Diese lebten im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr., als sie erstmals ins Interesse der Griech*innen gerieten, so ganz anders, als man das aus Griechenland kannte. Diese Völker waren nicht oder nur teilweise sesshaft und ständig zu Pferde unterwegs. Und nach allem, was wir wissen, waren eben Frauen in diesen Gesellschaften auch ganz anders gestellt als in Griechenland.

Da sich am Schwarzen Meer ja nun auch die angebliche Heimat der Amazonen befunden habe soll, hat man sich bei archäologischen Ausgrabungen vor allem auch die Gräber angesehen und analysiert, wer dort wie bestattet wurde. Dabei fiel auf, dass ein nicht unerheblicher Anteil von 20 Prozent der Personen, die als „Krieger“ bestattet wurden, weiblich waren. Sie trugen allerdings dieselbe Kleidung wie ihre männlichen Kriegerkollegen.6 Auch in Südrussland, der Ukraine und Kasachstan wurden in Nekropolen zahlreiche Frauenskelette gefunden, die mit Waffen und Rüstungen bestattet waren. Die Skelette wiesen außerdem charakteristische Verformungen der Oberschenkel und Steißbeine auf, die entstehen, wenn schon Jugendliche viel reiten.7

Amazone auf einer antiken Trinkschale
Amazone auf einer antiken Trinkschale (Euphronios, gemeinfrei)

Das deckt sich wiederum ganz gut mit den antiken Berichten von Herodot, der von reitenden Sarmat*innen und anderen Völkern im Norden Kleinasiens erzählt. Er weist außerdem auf die in der griechischen Welt völlig ungewöhnlichen matrilinearen Traditionen bei einigen dieser Völker hin, etwa dass in Karien oder Lykien der Status des Vaters überhaupt keine Rolle für die Rechte eines Kindes spielt. Ein Kind hat dann volle Bürgerrechte, wenn die Mutter sie hat. Wer der Vater ist, ist egal.8. Man kann also durchaus von gesellschaftlich starken Frauen am Schwarzen Meer ausgehen.

Die mythologischen Amazonen haben wahrscheinlich also wenigstens einen wahren Kern. Ein nur aus Frauen bestehendes, berittenes Kriegerinnenvolk, das nur um Kinder zu zeugen, Kontakt zu Männern sucht, hat es zwar mit Sicherheit nicht gegeben. Aber zumindest Völker am Schwarzen Meer, bei denen Frauen für griechische Verhältnisse ein schockierend hohes gesellschaftliches Ansehen genossen, ritten und in den Krieg zogen.

Amazonen, Elben und Orks

Diese archäologischen Funde sind zwar interessant, weil sie zeigen können, woher die Idee von den Amazonen stammt. Uns soll hier aber gar nicht weiter beschäftigen, was es über Amazonen aussagt, dass sie in den Werken griechischer Schriftsteller vorkommen. Da ist man nämlich, wie wir gerade gesehen haben, sehr schnell fertig. Es sagt aber auch viel über die griechischen Gesellschaften aus, die solche Amazonen-Literatur offenbar gerne schrieben und lasen. Und dafür ist es auch völlig unerheblich, ob es Amazonen gegeben hat oder nicht.

Dass Amazonen in der griechischen Mythologie vorkommen, sagt wenig darüber aus, ob es Amazonen gegeben hat. Dass im „Herrn der Ringe“ Elben und Orks vorkommen, sagt auch erstmal wenig über Elben und Orks aus, aber es sagt etwas aus, über die Gesellschaft, in der diese Erzählung entstanden ist. In diesem Fall über unsere. Beispiel gefällig? Offenbar entstand der „Herr der Ringe“ in einer Gesellschaft, die sich böse und nicht ganz so kluge Charaktere auch zusätzlich immer noch hässlich vorstellt. Man denke an die Orks oder Gollum. Das sagt einiges darüber aus, wie wir in den 1950er Jahren mit einer an sich zufälligen Sache wie körperlicher Schönheit umgegangen sind. Und die Verfilmung aus den 2000er Jahren übernimmt das aus der Vorlage. Weise Charaktere sind dagegen immer alt. Warum sind Gandalf oder Galadriel nicht 30? Das sagt einiges darüber aus, welche Bedeutung wir Lebenserfahrung beimessen.

Amazonenschlacht
Amazonenschlacht, Anselm Feuerbach 1873 (gemeinfrei)

Die anderen Frauen

So ähnlich verhält es sich nun auch mit den griechischen Gesellschaften und ihren Amazonen-Erzählungen. Das herausragende Merkmal der Amazonen ist, dass sie alle immer weiblich sind. Es gibt schlicht keine männlichen Amazonen. Es ist also zu erwarten, dass das etwas über das Frauenbild der griechischen Gesellschaften aussagt. Dass die Amazonen letzten Endes eine Interpretation davon sind, wie Frauen sind oder sein sollen.

Zunächst fällt auf, dass die Amazonen immer Kriegerinnen sind. Und zwar nicht nur einfaches Fußvolk, sondern Reiterinnen. Auch wenn wir da heute schnell so eine Vorstellung von Pferdemädchen im Kopf haben, darf man nicht vergessen, dass Pferde in der Antike in der Regel von höher gestellten Soldaten geritten wurden. Frauen und Pferde passten nach damaligen Rollenbildern eher nicht so zusammen. Mädchen lernten nicht reiten. (Wohlhabendere) Jungen schon, damit sie auf den Militärdienst vorbereitet waren. Allein damit, dass sie auf Pferden sitzen, dringen die Amazonen in einen Bereich vor, der in der Antike als „typisch männlich“ galt. Dass sie das gepanzert und bewaffnet tun, vervollständigt das Bild. Die Amazonen vereinnahmen den „typisch männlichen“ Bereich Militär. Im Krieg hatten Frauen in der Antike erst recht nichts zu suchen.

Die Amazonen sind in dieser Hinsicht also in erster Linie anders als man das von den meisten griechischen Frauen erwarten würde. Sie sind kriegerisch, wehrhaft und gefährlich. Und können selbst für hartgesottene, griechische Männer wie Achilles zur Bedrohung werden. Dieser steht im Trojanischen Krieg nämlich der Amazonenkönigin Penthesilea im Zweikampf gegenüber. Er kann sie letzten Endes schlagen und töten. Aber dennoch ist sie eine Gegnerin auf Augenhöhe für ihn und kann ihm lange die Stirn bieten, wie es sonst vielleicht im Trojanischen Krieg nur Hektor konnte. Als Achilles sie tödlich verwundet, ist die Gefahr zwar endlich gebannt, aber dennoch ist er traurig, sie getötet zu haben, weil sie ihm ebenbürtig war.

Die exotischen Schönheiten

Nicht immer kommen die Amazonen in kriegerischer Absicht. Auch wenn sie gefürchtete Kämpferinnen sind, suchen sie auch oft den diplomatischen Weg. Als Alexander der Große bei seinem Feldzug gegen die Perser an das südliche Kaspische Meer kam, soll die Amazonenkönigin Thalestris mit einem besonderen Wunsch zu ihm gekommen sein. Die gesamte Episode ist unhistorisch und eine spätere Legende, aber das ist in diesem Kontext nicht so wichtig.

Thalestris im Lager Alexanders des Großen
Thalestris im Lager Alexanders des Großen, Johann Georg Platzer 1750 (gemeinfrei)

Thalestris äußerte klare Vorstellungen: Sie sei die schönste, stärkste und mutigste Frau der Welt. Alexander sei der schönste, stärkste und mutigste Mann der Welt. Ein gemeinsames Kind der beiden werde alle Sterblichen übertreffen. Thalestris wollte also ein Kind von Alexander. Ein Mädchen werde sie selbst aufziehen, einen Jungen könne er haben.9 Dreizehn Tage und Nächte haben die beiden nur damit verbracht, miteinander zu schlafen. Für andere Dinge blieb keine Zeit mehr.10 Über Thalestris und das gemeinsame Kind ist nichts weiter bekannt. Sie werden danach nicht mehr erwähnt, weil sie für die Geschichte von Alexanders Eroberung des Perserreichs auch keine Rolle mehr spielen. 

Trotzdem ist die Amazonenkönigin auch hier „die andere Frau“, wenn man sie mit den Griechinnen vergleicht. Amazonen-Darstellungen wurden seit etwa 550 v. Chr. richtig populär.  Das heißt, wir reden hier nur bedingt über die Archaik, in der es die Amazonen zwar auch schon gab, aber sie noch nicht so verbreitet waren. Wir reden also über eine Zeit, in der sich Rollenbilder von Männern und Frauen in weiten Teilen Griechenlands bereits fest etabliert hatten und diese auch wenig durchlässig waren. Eine Ausnahme davon bildeten sicher Sparta und die Peloponnes, in der Frauen eine deutlich stärkere und selbstbewusstere Stellung einnahmen.

Ein Bild von einer Frau

Aber reden wir hier nicht über Sparta, sondern über den Rest: Griechische Frauen hatten nicht dermaßen selbstbewusst und mit so klaren Forderungen aufzutreten. Erst recht nicht, wenn es um Sexualität ging. Die Amazonen sind also auch die Projektionsfläche für exotische und erotische Träume der Griechen, die diese Geschichten verfasst haben. Aber auch der Griechinnen, die sich unter den Zuhörer*innen solcher Erzählungen befanden. 

Verwundete Amazone, römische Kopie nach griechischem Original, 5. Jahrhundert v. Chr. (Bild: Jean-Pol Grandmont, CC BY-SA 3.0)
Verwundete Amazone, römische Kopie nach griechischem Original, 5. Jahrhundert v. Chr. (Bild: Jean-Pol Grandmont, CC BY-SA 3.

Denn die Amazonen sind nicht nur wild, sie sind auch schön, attraktiv und begehrenswert. Dass die Amazonen sich angeblich eine Brust amputiert hätten, um besser Bogen schießen zu können, stammt übrigens nicht aus der Antike. Das ist eine spätere Erfindung. In antiken Texten ist davon nirgends die Rede und auch Statuen, die Amazonen darstellen sollen, haben immer zwei Brüste. Antike Amazonen sind also nicht irgendwie verstümmelt. Sie sind für die meisten Männer wohl attraktive Frauen. Auch ansonsten entsprechen sie ganz klar dem griechischen Schönheitsideal: Sie sind hellhäutig, groß und haben lange, blonde Haare, auch wenn das für Kriegerinnen vielleicht nicht die praktischste Frisur ist.

Und sie sind selbstbestimmt. Sie suchen sich die Männer aus, mit denen sie schlafen wollen. Auf der anderen Seite dürfte eine Nacht mit einer Amazone aber auch ein sexuelles Abenteuer sein, das die auserwählten Männer nicht wieder vergessen würden. Die Amazonen geben Sehnsüchten Raum, die man in der „zivilisierten“ griechischen Welt nicht aussprach, weil sie den Rollenerwartungen widersprachen. Eine Griechin so darzustellen, wäre ein Skandal gewesen. Aber ein bisschen von wildem und hemmungslosen Sex mit einer Amazone zu träumen, war dann eben doch okay. Oder sich vielleicht sogar vorzustellen, eine zu sein. Denn sie waren eben keine Griechinnen und mussten sich deshalb auch nicht so verhalten. 

Auf Augenhöhe — aber nur fast

Trotzdem sollte man dabei nicht vergessen, dass die meisten griechischen Gesellschaften streng patriarchal organisiert waren. Die Amazonen, die sich als männlich angesehene Eigenschaften aneignen, sind auch eine Bedrohung für diese Ordnung. Die Amazonen sind also nicht nur gleichzeitig die gefährlichen Kriegerinnen und die verführerischen Schönheiten, sie sind vor allem am Ende doch immer die Unterlegenen.

Denn in jedem Mythos, in dem es zum Kampf mit den Amazonen kommt, werden sie von Griechen besiegt. Achilles, Theseus, Herakles, sie alle können die gefährlichen Frauen am Ende überwinden und meistens sogar töten. Bei aller Projektionsfläche, die Amazonen für Sehnsüchte bieten, sind sie zwar männergleich, am Ende aber eben doch immer den Männern unterlegen. Die Amazonen-Geschichten der Antike sind also nicht so emanzipiert, wie sie auf den ersten Blick wirken. Sie dienen auch dazu, sich zu vergewissern, dass Männer in den Krieg ziehen und Frauen besser Kinder gebären sollten und dass das Patriarchat die bessere Gesellschaftsordnung ist.

Amazone im Kampf mit einem Griechen, griechisches Mosaik aus dem 4. Jahrhundert n. Chr.
Amazone im Kampf mit einem Griechen, griechisches Mosaik aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. (Bild: Jacques Bossot, CC BY-SA 4.0)

Das hat sich erst in der Neuzeit gewandelt, so dass die Amazone Wonder Woman heute wirklich keinen Mann mehr an ihrer Seite braucht, um die Welt zu retten.

  1. Das Eingreifen der Amazonen in den Trojanischen Krieg war Teil des nicht erhaltenen Werkes Aithiopis, das Erzählstränge am Ende des Trojanischen Krieges aufgriff, die von Homer nicht erzählt wurden.
  2. Apollonios von Rhodos 2, 386
  3. Diodor, 17,77,1-3
  4. Herodot, Historien, 4, 21-117
  5. Strabon, Geographika, 11,5
  6. David W. Anthony: The Horse, the Wheel, and Language. How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes Shaped the Modern World. Princeton 2007.
  7. Jeannine Davis-Kimball: Excavations Pokrovka Russia, 1995, in: csen.org, The Center for the Study of the Eurasian Nomads (CSEN), Berkeley
  8. Herodot, Historien 1,173
  9. Curtius Rufus: Alexanderroman, 6,5,24–32
  10. Diodor, 17, 77, 1-3

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert